Studie: Behandlung von Parodontitis zur Blutzuckerkontrolle bei Diabetes mellitus
Prof. Dr. med. dent. Clemens WalterWelchen Einfluss hat die parodontale Therapie auf die glykämische Kontrolle bei Patientinnen und Patienten mit Diabetes mellitus? Prof. Clemens Walter stellt eine aktualisierte Metaanalyse des Cochrane Netzwerks zum Thema vor, die das Wissen aus 33 klinischen Studien zusammenfasst.
Parodontale Medizin
Parodontale Medizin ist ein noch relativ junges, erst etwa 30 Jahre altes Fachgebiet der wissenschaftlichen Parodontologie. Hier werden die Zusammenhänge zwischen parodontalen und systemischen/allgemeinmedizinischen Erkrankungen erforscht und beschrieben. Mittlerweile gibt es dabei Hinweise für verschiedene Assoziationen. Darunter fallen Zusammenhänge zwischen kardiovaskulären, metabolischen, cerebral/neurologischen oder zum Beispiel rheumatoiden Erkrankungen mit verschiedenen parodontalen Krankheitsbildern.
Zu einem Thema, welches schon länger und in den letzten Jahren besonders intensiv diskutiert wurde, liegt nun eine aktualisierte Metaanalyse/systematische Übersicht vor. Es geht hier um die wichtige Fragestellung, inwiefern eine parodontale Therapie Einfluss auf die glykämische Kontrolle bei Patienten mit Diabetes mellitus hat.
Methodik
Die vorliegende Metaanalyse/systematische Übersicht wurde vom renommierten und unabhängigen Cochrane Netzwerk durchgeführt. Es handelt sich um eine 2022 letztmalig aktualisierte und im Jahre 2010 erstmals publizierte Arbeit. Primärer Endpunkt war der Effekt einer parodontalen Therapie, konkret einer subgingivalen Instrumentierung auf den HbA1c Wert. Über diesen Wert erfolgt international die Eingruppierung eines Probanden in keinen Diabetes (HbA1c < 5,7 %), Prädiabetes (5,7-6,5 %) und Diabetes ( > 6,5 %).
Über den HbA1c wird die durchschnittliche Glukose-Konzentration der letzten drei Monate im Blut widergespiegelt. Es wurden ausschließlich randomisierte kontrollierte klinische Studien, in deren Experimentalgruppe eine subgingivale Instrumentierung im Vergleich zu einer Kontrollgruppe, in der keine aktive Behandlung oder nur Mundhygieneinstruktion mit/ohne supragingivale Reinigung durchgeführt wurde, berücksichtigt. Die Mindestbeobachtungszeit betrug drei Monate.
Ergebnisse der Metaanalyse zum Einfluss der parodontalen Therapie auf die glykämische Kontrolle
Auf Basis einer systematischen Literatursuche in sechs bibliographischen Datenbanken sowie weiteren Quellen konnten 35 Studien mit geringem Verzerrungsrisiko (2 Studien), hohem Verzerrungsrisiko (14) und unklarem Verzerrungsrisiko (19) eingeschlossen werden. Es liegen hier somit die Daten von 3.249 Patienten mit vornehmlich Diabetes mellitus Typ II vor, deren HbA1c-Werte zu Behandlungsbeginn unterschiedlich (eingestellt) waren.
Insgesamt 33 Studien konnten in die Metaanalysen inkludiert werden. Die kumulierten Effekte der subgingivalen Instrumentierung im Vergleich zur Kontrollgruppe basieren auf unterschiedlich vielen Studien und ggf. leicht divergierenden Behandlungsprotokollen (mit/ohne systemische/lokale antimikrobielle Therapie, mit/ohne Anwendung von antibakteriellen Mundspüllösungen, in einer Studie auch parodontale Chirurgie in einer Teilgruppe) lesen sich wie folgt: Nach 3 bis 4 Monaten beträgt die durchschnittliche Reduktion des HbA1c-Wertes 0,43 % (30 Studien), nach 6 Monaten durchschnittlich 0,3 % (12 Studien) und nach 12 Monaten ca. 0,5 % (1 Studie).
Klinische Schlussfolgerungen zu positiven Effekten einer parodontalen Therapie
Die Ergebnisse der hier vorliegenden Metaanalysen weisen eine hohe Konsistenz auf. Es gilt daher als recht unwahrscheinlich, dass weitere Studien die Ergebnisse relevant verändern könnten. Insofern liegen hier jetzt robuste wissenschaftliche Daten für die positiven Effekte einer parodontalen Therapie (Stufe 2 – subgingivale Instrumentierung) auf die Kontrolle des Blutzuckers bei Typ II-Diabetikern vor. Eine lange und kontrovers geführte wissenschaftliche Debatte hat somit offenbar ihr vorläufiges Ende gefunden. Was bedeutet das für die tägliche Praxis? Zunächst sollten Patienten mit entsprechenden Risikofaktoren für parodontale Erkrankungen in der internistischen Praxis und Patienten mit dem Risiko für einen Diabetes mellitus in der zahnärztlichen Praxis zum Beispiel anhand von Checklisten identifiziert und in der Folge zu einer spezialisierten Betreuung überwiesen werden. Diese Checklisten/Fragebögen gibt es bereits von der DG PARO. Sie wurden in einem Kooperationsprojekt der betreffenden Fachgesellschaften erarbeitet. Da es sich bei Parodontitis und Diabetes mellitus um chronische Erkrankungen handelt, sollte auch im Rahmen der regelmäßigen Nachsorge (Stufe 4 – unterstützende parodontale Therapie) das jeweilige Krankheitsbild im Kontext der assoziierten zweiten Erkrankung (Parodontitis bzw. Diabetes mellitus) gesehen und adäquat therapeutisch angesprochen werden.
Quelle:Prof. Dr. med. dent. Clemens Walter
14197 Berlin