Amalgamverbot ab 2025: Was Patienten und Zahnärzte jetzt wissen müssen
Wiebke PfohlDentalamalgam wird ab Januar 2025 in der EU verboten. Das hat die EU dieses Jahr beschlossen. Warum das Füllmaterial verboten wird und für welche alternativen Materialien die Krankenkassen jetzt die Kosten übernehmen übernehmen, lesen Sie bei uns.
Warum wird Dentalamalgam verboten?
Ab Januar 2025 werden EU-weit Zahnfüllungen mit Dentalamalgam verboten. Die Europäische Kommission hat dafür die EU-Quecksilber-Verordnung überarbeitet. Amalgamfüllungen bestehen zur Hälfte aus Quecksilber, das dort an andere Metalle gebunden ist. In einer Pressemitteilung der Kommission sagt der EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius: „Quecksilber ist eine hochgiftige Chemikalie, die eine Bedrohung für die menschliche Gesundheit und für die Umwelt darstellt. Es ist an der Zeit, dem ein Ende zu setzen!"
Was mit dem Amalgamverbot ab Januar 2025 gilt
Ab dem 1. Januar 2025 wird es EU-weit verboten, Dentalamalgam zu verwenden und zu exportieren. Einigen Mitgliedsländern wurde eine verlängerte Frist bis zum 30. Juni 2026 gewährt, darunter etwa Tschechien. Für Deutschland gilt diese verlängerte Frist nicht. Ab Anfang 2025 ist also Schluss mit Amalgam.
Ausnahmen gibt es, wenn Zahnärztinnen und Zahnärzte der Meinung sind, dass Dentalamalgam für eine Patientin oder einen Patienten dringend benötigt wird. Ab dem 1. Juli 2026 wird es außerdem verboten sein, Amalgam in der EU herzustellen und zu importieren.
Bereits seit 2018 wird Amalgam bei Schwangeren, Stillenden und Kindern unter 15 Jahren nur noch in absoluten Ausnahmefällen verwendet.
Amalgamverbot: Was ändert sich in der Zahnarztpraxis?
Bisher war Amalgam eines der Füllmaterialien, das im Seitenzahnbereich für Patientinnen und Patienten zuzahlungsfrei war. Im Frontzahnbereich übernehmen die Krankenkassen bereits jetzt die Kosten für Kompositfüllungen. Auch ab dem 1. Januar 2025 sollen Zahnfüllungen im Seitenzahnbereich ohne zusätzliche Kosten für Patient:innen möglich sein, wie GKV-Spitzenverband und die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) in einer gemeinsamen Pressemitteilung verkünden.
Die Krankenkasse übernehme dann die Kosten in Höhe der GKV-Versorgung, die von den Selbstverwaltungspartnern im BEMA neu definiert wurde. “Mit der erreichten Neuregelung ist als grundlegende Kassenleistung im Seitenzahnbereich die Versorgung mit sogenannten selbstadhäsiven Materialien ohne Zuzahlung der Versicherten möglich, in Ausnahmefällen können auch Bulkfill-Komposite zum Einsatz kommen”, sagt Martin Hendges, Vorstandsvorsitzender der KZBV.
Bestehen bleibt, dass auch weiterhin private Zuzahlungen für Leistungen möglich sind, die über die Grundversorgung hinaus gehen. Weiterhin entscheidet auch die Zahnärztin oder der Zahnarzt gemeinsam mit Patient:innen, welche Füllungen im Einzelfall angewendet werden. “Wichtig ist, dass Patientinnen und Patienten über die in ihrem Fall bestehende GKV-Versorgung und mögliche Versorgungsalternativen durch ihren Zahnarzt oder ihre Zahnärztin vor der Behandlung aufgeklärt werden und sich so für eine Versorgung entscheiden können”, schreiben GKV-Spitzenverband und KZBV.
Das Minamata-Übereinkommen
Basis der überarbeiteten EU-Quecksilber-Verordnung ist das Minamata-Übereinkommen. Es wurde 2013 beschlossen, um die anthropogenen Quecksilberbelastungen zu reduzieren. Das Abkommen soll Mensch und Umwelt vor der Freisetzung von Quecksilber schützen, das giftig für das Nervensystem ist. Die EU hat das Übereinkommen 2017 ratifiziert.
Die Minamata-Krankheit
Minamata ist eine Kleinstadt auf der japanischen Insel Kyūshū. In den 1950ern und 60ern leitete ein Werk des Chemieunternehmens Chisso große Mengen Methylquecksilber ins Wasser. Dieses reicherte sich im Fettgewebe von Fischen an. Da die Bevölkerung von Minamata sich hauptsächlich von Fisch ernährte, nahmen die Menschen hier große Mengen Quecksilber auf. Insgesamt 17.000 Menschen erlitten starke Quecksilbervergiftungen, viele Kinder kamen mit Fehlbildungen zur Welt und etwa 3000 Menschen starben. Chronische Vergiftungen mit organischem Quecksilber werden seitdem auch Minamata-Krankheit genannt.
Wie viel Amalgam wird in der Zahnarztpraxis noch verwendet?
Im Jahr 1985 machten Amalgamfüllungen in Deutschland noch 75 Prozent der gesamten Füllungen aus. Im Jahr 1995 wurden nur noch in 30 Prozent der Fälle Amalgamfüllungen gelegt. “Der Anteil von Amalgamfüllungen sinkt kontinuierlich”, schreibt Vanessa Hönighaus, Pressesprecherin der KZBV, “2021 wurden in Deutschland nach Abrechnungsdaten der KZBV 1,4 Millionen, ein Jahr später, 2022, dagegen nur noch 1 Million Amalgamfüllungen neu gelegt.” Im Jahr 2022 betrug der Anteil der neu gelegten Amalgamfüllungen in Deutschland damit rund 2,4 Prozent. Diese Daten lassen sich dem Jahrbuch 2023 der KZBV entnehmen.
Beliebt war Amalgam, weil es zum einen langlebig und zum anderen recht fehlertolerant und damit vergleichbar leicht zu verarbeiten ist. Außerdem ist es kostengünstig und robust gegen Kontamination.
Kritik und Reaktionen auf das Amalgamverbot
“Das Amalgamverbot wurde, leider auch unter Zugrundelegung fachlich falscher Annahmen, quasi mit der Brechstange durchgesetzt. Es drohte hier ein ernsthafter Schaden in der Versorgung, den KZBV und GKV-Spitzenverband nun gemeinsam verhindern konnten”, sagt Martin Hendges, Vorstandsvorsitzender der KZBV in der Pressemitteilung weiter. Bereits im Februar 2024 hatte die KZBV das EU-weite Amalgamverbot kritisiert. Laut der Vereinigung gehe bei fachgerechtem Umgang von Dentalamalgam keine Gefahr aus. Die Aufnahme von Quecksilber durch Amalgam entspreche in etwa der durch Nahrung und sei unbedenklich. Besonders die Versorgung von vulnerablen Patientengruppen würde durch das Verbot erschwert.
Der Verband medizinischer Fachberufe e.V. (vmf) dagegen begrüßte das Amalgamverbot. Der Verband betont, dass Quecksilber besonders bei der Platzierung und Entfernung der Füllungen frei werde. Das betreffe nicht nur Patient:innen, sondern auch Zahnärztinnen und Zahnärzte sowie ZFAs. „Amalgam hat in der modernen Zahnmedizin nichts mehr zu suchen. Beim Arbeiten mit Amalgam in der Praxis wird Quecksilberdampf freigesetzt und da 99 Prozent der zahnmedizinischen Fachangestellten in Deutschland weiblich sind und Quecksilber sowohl schädlich für die Fruchtbarkeit als auch das ungeborene Kind ist, sind wir einem besonderen Risiko ausgesetzt”, sagt Sylvia Gabel, die Referatsleiterin Zahnmedizinische Fachangestellte des vmf.
Die Geschichte von Dentalamalgam
Amalgamfüllungen wurden um das Jahr 1830 in der Zahnmedizin eingeführt. Doch auch schon im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert verwendeten französische Zahnärzte eine Mischung aus Wismut, Blei, Zinn und Quecksilber. Das Material wurde wohl bei 100 Grad Celsius die vorbereitete Kavität gefüllt. Johannes Stockerus, ein Stadtarzt in Ulm, empfahl Amalgam als Füllmaterial schon im Jahr 1528. In chinesischen Texten wurde das Material wohl bereits 659 n. Chr. erwähnt.
Amalgamverbote in anderen Ländern
In einigen Ländern ist Dentalamalgam bereits länger verboten. Das EnvMed Network, eine NGO, die sich für das Verbot von Amalgam einsetzt, trackt auf ihrer Website, in welchen Ländern das Material bereits nicht mehr verwendet wird.
So wurde Amalgam etwa 2008 in Norwegen verboten. In Einzelfällen war es noch bis Ende 2010 erlaubt, das Füllmaterial zu verwenden. Die norwegische Umweltagentur, die dem Ministerium für Klima und Umwelt unterstellt ist, beauftragte daraufhin einen Bericht über die Erfahrungen der norwegischen Zahnärzte mit dem Amalgam Phase-out. Dieser ist 2012 erschienen. Alternativmaterialien zu Amalgam haben sich seitdem weiterentwickelt und das norwegische Gesundheitssystem funktioniert etwas anders als das deutsche. Die Ergebnisse können trotzdem spannende Einblicke in die Erfahrungen von Zahnärztinnen und Zahnärzten mit einem Amalgamverbot bieten.
Erfahrungen norwegischer Zahnärzte mit dem Amalgamverbot
Zahnmedizinisches Personal und Patient:innen in Norwegen waren generell zufrieden mit den Alternativen zu Dentalamalgam. Die für den Bericht interviewten Zahnmediziner:innen berichteten, dass sich die alternativen Materialien besonders für kleine Füllungen eigneten und sogar manchmal weniger Zeit benötigten als Amalgam. Besonders bei großen Füllungen sei es aber herausfordernd, die alternativen Materialien zu verwenden. Außerdem könne es länger dauern, große Kavitäten mit Alternativmaterialien zu füllen. Ein weiterer Nachteil sei, dass sich auf der Oberfläche der Alternativfüllungen leichter Bakterien absetzten und sie deswegen genauer beobachtet werden müssten. Trotzdem werde die Langlebigkeit der alternativen Materialien immer besser und nähere sich der von Amalgam an.
Die Autoren des Berichts schätzen, dass das Amalgamverbot höhere Kosten verursachte als die Verwendung von Dentalamalgam. Hauptsächlich durch einen häufigeren Wechsel der Füllung und durch die zusätzliche Zeit, die Patient:innen in der Praxis verbringen müssten. Es sei aber schwer, die beiden Kosten gegeneinander zu rechnen, da Dentalamalgam schon vor dem Verbot in Norwegen vielfach ersetzt worden sei. Außerdem würden die Alternativmaterialien immer langlebiger und dadurch die Kosten wieder reduziert.
Laut Bericht reduzierte das Amalgamverbot in Norwegen die Nutzung und auch die Freisetzung von Quecksilber erheblich. Quecksilber aus bestehenden Füllungen würde vermutlich noch bis mindestens 2042 weiter freigesetzt, so die Autoren des Berichts.
Quecksilber, Mensch und Natur
Quecksilber ist ein Schwermetall, das aus natürlichen Quellen in die Umwelt gelangt, aber auch durch den Menschen freigesetzt wird. Etwa Vulkanausbrüche, Geysire und auch Wald- oder Steppenbrände setzen das Metall frei. Zudem gelangt es etwa durch die Verbrennung von fossilen Brennstoffen, den Abbau von Quecksilber und das Schürfen von Gold in die Umwelt.
Das Schwermetall verbreitet sich primär über die Luft. Da es in der Atmosphäre nicht mit anderen Stoffen reagiert, kann es sich über weite Entfernungen ausbreiten. Elementares Quecksilber kann in gasförmiger Form mehrmals die Erde umrunden und somit über Kontinente hinweg transportiert werden. Mit Regen, Schnee oder Hagel gelangt es dann auf den Boden oder in Gewässer.
Quecksilber: Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit
Quecksilber ist giftig. Es reichert sich im menschlichen Körper an, da es schlecht ausgeschieden werden kann. Organisches Methylquecksilber kann das Nervensystem schädigen, anorganisches und metallisches Quecksilber kann Schäden an Nerven und Nieren hervorrufen. Auch andere toxische Effekte sind möglich. Laut dem Umweltbundesamt kann zwar bei fast allen Menschen Quecksilber in Blut und Urin gemessen werden, allerdings in einer geringen Konzentration, sodass es nicht gefährlich für die Gesundheit ist. Bei hohem Verzehr insbesondere bestimmter Raubfisch-Arten seien einzelne Personen gefährdet.
Nicht nur für Menschen, sondern auch für Tiere ist das Metall giftig. Besonders in Wasserlebewesen reichert es sich an. Dabei sind insbesondere jene Tiere betroffen, die viel Fisch fressen, etwa Raubfische, Robben oder Wasservögel. Denn sie nehmen nicht nur selbst Quecksilber auf, sondern auch das Metall, dass Fische unter ihnen im Nahrungsnetz bereits aufgenommen haben. Die hohe Belastung kann das Nervensystem der Tiere schädigen, ihr Verhalten verändern und auch ihre Fortpflanzung stören.
Belastung durch Quecksilber in Deutschland
Menschen in Deutschland sind hauptsächlich durch Dentalamalgam und den Verzehr von Meerestieren, insbesondere von größeren Seefischen, mit Quecksilber belastet, so das Umweltbundesamt. In der EU gibt es Vorschriften dafür, wie viel Quecksilber Fische und Fischereiprodukte maximal enthalten dürften. Die zuständigen Behörden der Bundesländer überwachen die Einhaltung dieser Höchstwerte. Außerdem koordiniert das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit Schwerpunktuntersuchungen.
Freisetzung von Quecksilber aus Dentalamalgam in die Umwelt
Quecksilber aus Dentalamalgam gelangt auf unterschiedlichen Wegen in die Umwelt, so das Robert-Koch-Insitut (RKI) in einem ausführlichen Bericht zu Amalgam aus umweltmedizinischer Sicht von 2007. Zum einen gelangt das Schwermetall während des Legens und Entfernens von Füllungen aus der Zahnarztpraxis in die Umwelt. Durch Abscheider, die in Deutschland Pflicht sind, wird dieser Eintrag aber erheblich reduziert. Bei Beerdigungen und Einäscherungen werden Amalgamfüllungen zumeist nicht entfernt. Dadurch kann Quecksilber in Boden oder Atmosphäre gelangen. Krematorien sind nicht generell dazu verpflichtet, einen Quecksilberfilter einzubauen. Verliert eine Person einen gefüllten Zahn kann auch dadurch Quecksilber in die Umwelt gelangen.