Wirtschaftsnachrichten für Zahnärzte | DENTAL & WIRTSCHAFT
Zahnmedizin

Im Jahre 1996 erschien eine amerikanische Studie zum möglichen Einfluss parodontaler Erkrankungen auf negative Geburtsereignisse (Beck et al. 1996, Journal of Periodontology). In dieser Fall-Kontroll-Studie wurde, unter Einschluss von 124 Frauen, ein signifikant erhöhtes Risiko für eine Frühgeburt, das ist eine Geburt vor Ablauf der 37. Schwangerschaftswoche (SSW), und einem niedrigen Geburtsgewicht, das heißt einem Gewicht < 2500 g, und mütterlichen parodontalen Erkrankungen gezeigt.

Seit dieser Zeit ist nun eine Vielzahl epidemiologischer und klinischer Studien in diesem Kontext publiziert worden. Kürzlich wurde die aktuelle Evidenz dazu neu zusammengetragen und in deutscher und englischer Sprache in einer gynäkologischen Fachzeitschrift veröffentlicht.

Methodik

Die Autoren bedienten sich dabei einer aktuellen wissenschaftlichen Technik. Sie analysierten die publizierte Literatur in Anlehnung an die Methodik sogenannter Umbrella-Reviews. Das bedeutet, es wurde eine methodische Übersicht über bereits publizierte systematische Übersichten durchgeführt. Ein wesentliches Einschlusskriterium war, dass eine Metaanalyse und/oder eine systematische Übersicht, die eine Metaanalyse enthielt, vorliegen musste.

Ferner sollten die zu berücksichtigenden Arbeiten detaillierte Angaben zu den perinatalen Outcomes, insbesondere zur Häufigkeit von Frühgeburten, und parodontalen Befunden bzw. den durchgeführten parodontal-therapeutischen Interventionen enthalten. Die Suche wurde – wie üblich – in verschiedenen medizinischen elektronischen Literaturdatenbanken durchgeführt und auf den Zeitraum zwischen den Jahren 2010 und 2022 sowie auf englischsprachige Publikationen beschränkt.

Ergebnisse

Insgesamt konnten 7 Metaanalysen mit mittlerem Evidenzniveau, welche Studiendaten aus 5 Kontinenten enthielten und in den Jahren 2010 bis 2020 veröffentlicht wurden, in die Auswertung einbezogen werden. Den einzelnen Übersichten lagen dabei Probandinnenzahlen zwischen n = 6.558 und n = 12.047 zugrunde. Die hier vorliegende Übersicht reflektiert demnach gesamthaft auf die Daten von insgesamt n = 56.755 Probandinnen.

Vier Metaanalysen/systematische Übersichten berichteten unter Verwendung randomisierter kontrollierter Studien über den Einfluss einer parodontalen Therapie auf negative Geburtsereignisse in Form einer Frühgeburt. Die drei verbleibenden Arbeiten analysierten diesen Zusammenhang anhand von Beobachtungsstudien.

Die sehr heterogenen Ergebnisse zeigen in Form einer einfachen Vote Counting Methode (Studien, die einen Zusammenhang/Effekt zeigen werden mit solchen, die keinen Zusammenhang/Effekt zeigen nummerisch zusammengefasst), dass in 5 der Metaanalysen/systematischen Übersichten kein Zusammenhang/Effekt zwischen parodontalen Erkrankungen/Therapie und den definierten negativen Geburtsereignissen gezeigt werden konnte. Demgegenüber legen jedoch die Daten zweier aktuellerer der eingeschlossenen Übersichten diesen Zusammenhang nahe.

Klinische Schlussfolgerungen: kein Zusammenhang zwischenParodontalerkrankung und Häufigkeit von Frühgeburten

Die Ergebnisse aus Übersichtsarbeiten, die nach dem hier applizierten Studiendesign durchgeführt wurden, stellen eine sehr hohe Stufe in der Hierarchie der wissenschaftlichen medizinischen Evidenz dar. In der nun vorliegenden Übersicht konnte entgegen der anfangs viel beachteten Fall-Kontroll-Studie in der Mehrzahl der eingeschlossenen Metaanalysen/systematischen Übersichten kein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen einer Parodontalerkrankung bzw. einer parodontalen Therapie und der Häufigkeit von Frühgeburten festgestellt werden.

Da die Studien aber eher mit nur mittelhoher Qualität bewertet wurden, ist eine abschließende Aussage derzeit noch immer nicht möglich. Dennoch sollten Schwangere und/oder Frauen im reproduktionsfähigen Alter über etwaige hormonell bedingte orale Effekte einer Schwangerschaft, wie einer Schwangerschaftsgingivitis, aufgeklärt und idealerweise in ein entsprechendes risikoorientiertes Prophylaxe-/ Mundhygieneprogramm mit regelmäßigen Terminen eingebunden werden. Parodontale Erkrankungen sollten möglichst vor einer (geplanten) Schwangerschaft behandelt werden.

Sofern aber eine manifeste Parodontitis während der Schwangerschaft diagnostiziert wird und therapiert werden muss, sollte dies nur in enger Rücksprache mit den betreuenden Gynäkologen durchgeführt werden. In Abhängigkeit vom Schwergrad der Parodontitis ist dabei vor allem die Auslösung einer Bakteriämie und der folgenden systemischen Entzündungsreaktion durch die subgingivale Instrumentierung bei einer schwangeren Frau zu berücksichtigen.

Quelle:

Kranz A, Feierabend N, Sliwka D, Wiesegart A, Abele H, Graf J. Assessment of the Association of Periodontal Diseases in Pregnant Women and the Efficacy of Periodontal Treatment in the Context of Premature Birthsand Pregnancy Complications – a Narrative Review. Geburtsh Frauenheilk 2022; 82: 831–841

Prof. Dr. Clemens Walter

Prof. Dr. med. dent. Clemens Walter

Abteilung für Parodontologie, Oralmedizin und Oralchirurgie Charité Centrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde
Prof. Dr. med. dent. Clemens Walter erhielt seine Approbation im Jahr 2000. Von 2001 bis 2003 absolvierte er das Postgraduiertenprogramm in Parodontologie und Implantologie an der Charité Berlin. Die Promotion erfolgte 2005. Von 2010 bis 2021 war er Leiter des Weiterbildungsprogrammes Parodontologie an der Universität Basel, wo er 2012 habilitierte. 2016 wurde er Außerordentlicher Professor an der Universität Basel, 2021 übernahm er den Lehrstuhl für Zahnerhaltung, Parodontologie, Endodontologie, Präventive Zahnmedizin und Kinderzahnheilkunde, Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, Universitätsmedizin Greifswald. Prof. Walter arbeitet in der Zahnarztpraxis Asta Fritzke in Greifswald und ist als Titularprofessor an der Abteilung für Parodontologie, Orale Medizin und Orale Chirurgie, Charité-Universitätsmedizin Berlin tätig.
Aßmannshauser Straße 4–6
14197 Berlin