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Zahnmedizin
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Kieferorthopädische Übertherapie bei Mädchen?

Laut BARMER-Zahnreport 2024 werden Mädchen in Deutschland möglicherweise zu häufig kieferorthopädisch behandelt. Den Daten zufolge wurden etwa 70 Prozent der 53.000 gesetzlich versicherten Achtjährigen kieferorthopädisch vorstellig. Rund 60 Prozent aller Mädchen und 50 Prozent aller Jungen erhielten dann auch eine entsprechende Behandlung.

„Schönheitsideale, Gruppendruck und elterliche Fürsorge sind mögliche Gründe dafür, dass Zahn- und Kieferfehlstellungen bei Mädchen häufiger nachgefragt und behandelt werden als bei Jungen“, erklärt Prof. Dr. med. Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der BARMER.

Regionale Unterschiede und Zugang zur Kieferorthopädie

Den Ergebnissen zufolge gibt es bei den kieferorthopädischen Behandlungszahlen auch erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern. In Bremen wurden etwa 46 Prozent der Kinder und Jugendlichen kieferorthopädisch behandelt, während es in Bayern mit 60 Prozent deutlich mehr waren. „Überdurchschnittlich hohe Werte in einigen Regionen deuten auf eine mögliche Übertherapie hin“, sagt Prof. Dr. Michael Walter von der Technischen Universität Dresden, Autor des BARMER-Zahnreports. Bei Mädchen in Bayern lag die Inanspruchnahme bei etwa 65 Prozent, in Baden-Württemberg bei 63 Prozent, während es in Bremen und Niedersachsen nur rund 53 bzw. 55 Prozent waren.

Der Zahnreport zeigt außerdem, dass der Zugang zur kieferorthopädischen Versorgung deutschlandweit insgesamt zufriedenstellend ist, jedoch nicht in allen Bundesländern gleich gut gegeben ist. Zwischen 80 und 96 Prozent der kieferorthopädischen Behandlungen finden in spezialisierten Praxen statt. In ostdeutschen Flächenländern liegt der Anteil der Behandlungen in nicht spezialisierten Praxen über dem Bundesschnitt, teilweise bei bis zu 19 Prozent. Dies deutet darauf hin, dass in Regionen mit weniger spezialisierten Praxen die Versorgung durch allgemeine Praxen ausgeglichen wird.

Kritik und Forschungsbedarf bei vertragszahnärztlicher kieferorthopädischer Versorgung

Im Jahr 2018 äußerte der Bundesrechnungshof massive Kritik am derzeitigen System der vertragszahnärztlichen kieferorthopädischen Versorgung. Kritisiert wurden unverhältnismäßige Kostensteigerungen, intransparente Datenlage und fehlende Versorgungsforschung. Auch eine Nutzenbewertung der Kieferorthopädie sei schwierig, da langfristige patientenrelevante Endpunkte oft nicht erhoben werden. Ein von der Bundesregierung beim IGES Institut in Auftrag gegebenes Gutachten bestätigte diese Problematik und forderte eine bessere Versorgungsforschung.

Datengrundlage des Zahnreports 2024

Für den Zahnreport wurden Abrechnungsdaten von Achtjährigen bis zum Alter von 17 Jahren über einen Zeitraum von zehn Jahren analysiert. „Zum ersten Mal stehen uns derart valide Daten zum Anteil kieferorthopädisch behandelter Kinder und Jugendlicher zur Verfügung“, sagt Prof. Dr. Michael Walter. Diese Daten ermöglichen auch Vergleiche mit aktuellen epidemiologischen Daten zum Behandlungsbedarf.