Dramatische Defizite in der Zahngesundheit von Kindern
Judith MeisterTraurig, aber wahr: Zwischen der Zahngesundheit von Kindern und dem sozialen Status gibt es einen direkten Zusammenhang: Je besser die Eltern verdienen, desto besser ist auch das Gebiss ihrer Sprösslinge. Was sich bei der Vorsorge verbessern muss – und welche Rolle dabei die neuen Erkenntnisse zur Fissuren-Versiegelung spielen.
Es ist schlimmer, als erwartet: Ein Drittel der Zwölfjährigen in Deutschland hat bereits Karies im bleibenden Gebiss. Das geht aus dem aktuellen Zahnreport der Krankenkasse BARMER hervor. Bislang waren Experten davon ausgegangen, dass nur etwa jedes fünfte Kind mit zwölf betroffen ist. Somit wurde Karies bei Kindern deutlich unterschätzt.
Die Zahlen belegen, dass Zahnärzte bereits im Jahr 2018 rund 33 Prozent der Zwölfjährigen wegen Karies behandelten. Für Christoph Straub, den Vorstandsvorsitzenden der BARMER, ist das ein unhaltbarer Zustand. „Zahnpflege darf nicht erst im bleibenden Gebiss beginnen. Sie sollte schon bei den Milchzähnen zur täglichen Routine gehören“, betont er das, was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Hier bestünden aber offenbar deutliche Defizite. Prävention sei aber noch immer das beste Mittel gegen Karies.
15 Prozent der Kinder waren noch nie beim Zahnarzt
Erschreckend hoch sei zudem der Anteil der Kinder, die über sechs Jahre hinweg überhaupt keinen Kontakt zu einem Zahnarzt gehabt hätten. Bei den Jungen und Mädchen unter sechs Jahren seien das mehr als 15 Prozent. Von den 4,6 Millionen Kindern unter sechs Jahren seien also 720.000 nie beim Zahnarzt gewesen.
Die Zahlen der BARMER legen zudem offen, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Therapiebedarf der Heranwachsenden unter 18 Jahre und dem Einkommen von Vater oder Mutter gibt. Je weniger die Eltern verdienten, desto häufiger seien auch die Therapieleistungen bei Heranwachsenden. Dabei gebe es wie in vielen Industrie- und Schwellenländern auch in Deutschland eine zunehmende Polarisierung bei der Karies.
„Wenige Kinder und Jugendliche haben besonders viel Karies“, fasst Straub zusammen. Dies zeige sich eindrucksvoll, wenn man in der Gruppe der unter 18-Jährigen betrachte, die die meisten Therapiekosten benötigten. Im Jahr 2010 hätten sie 78,7 Prozent der Therapiekosten auf sich gezogen, während es im Jahr 2018 bereits 85,2 Prozent gewesen wären.
Oft haben Kinder schon Löcher in den Milchzähnen
Der Zahnreport zeigt zudem, dass Kinder oft schon im Milchgebiss Karies haben. 54 Prozent der Zehnjährigen in Deutschland, also rund 400.000 Kinder, haben hier schon eine entsprechende Behandlung benötigt. Diese Zahlen seien nicht nur aufgrund der Quantität alarmierend. „Wer schon im Milchgebiss Karies hat, wird oft auch Karies und Folgeschäden im bleibenden Gebiss haben“, warnt Michael Walter von der Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik an der TU Dresden. Zudem verursache auch die Milchzahnkaries zum Teil starke Schmerzen und führe dann zu psychischer Belastung von Kindern und Eltern.
„Es sind in jedem Fall weitere Anstrengungen erforderlich, um die Zahngesundheit der Kinder und Jugendlichen im Milch- und bleibenden Gebiss zu verbessern“, so Walter.
Fissurenversiegelung: Sinnvoll, aber nicht so haltbar, wie gedacht
Eine Schutzmaßnahme gegen Karies in den bleibenden Backenzähnen sei die sogenannte Fissurenversiegelung, so Walter weiter. Allerdings hielten nur 35,3 Prozent der erstmaligen Versiegelungen bei Heranwachsenden länger als neun Jahre. „Die Haltbarkeit von Fissurenversiegelung ist geringer als erwartet und bedarf der regelmäßigen zahnärztlichen Kontrolle“, erläutert der Studienautor.
Das eigentliche Ziel, Karies zu vermeiden, werde aber meist erreicht. So habe sich nur bei 15,7 Prozent der erstmalige versiegelten Fissuren innerhalb von neun Jahren Karies gebildet, sodass eine Füllung erfolgen musste. In mehr als 80 Prozent der Fälle habe eine Versiegelung eine Füllung aufgrund von Kariestherapie mindestens neun Jahre lang verhindern können.