Geringere Energiezufuhr und Fehlernährung bei Parodontitis Stadium IV im Endstadium
Prof. Dr. med. dent. Clemens WalterWelche Auswirkungen hat Parodontitis Stadium IV auf die Nahrungszusammensetzung hinsichtlich Energie- und Vitaminzufuhr der Patientinnen und Patienten? Prof. Dr. Clemens Walter fasst die Ergebnisse einer aktuellen Studie zusammen.
Die aktuelle Klassifikation parodontaler und periimplantärer Erkrankungen berücksichtigt zur Einordnung eines gegebenen Krankheitsfalles verschiedene Komplexitätsfaktoren, welche die Anforderungen an die systematische parodontale Behandlung erhöhen. Das höchste Stadium ist demnach eine Parodontitis Stadium IV. Die ausschlaggebenden Faktoren, die dieses Krankheitsbild von einer Parodontitis Stadium III abgrenzen, sind in der Bezeichnung „mastikatorische Dysfunktion“ zusammengefasst. Hier finden sich Punkte wie sekundäres okklusales Trauma mit erhöhter Zahnbeweglichkeit (>1), Zahnwanderungen und/oder Auffächerung der Frontzähne, weniger als 20 Restzähne oder <10 okkludierende Paare. Derartige Situationen sind für die betroffenen Patienten gekennzeichnet durch zahlreiche Einschränkungen und oft auch einen hohen Leidensdruck.
Diese spezielle Klientel ist, vor dem Hintergrund der noch jungen Klassifikation, allerdings bisher nur sehr unzureichend charakterisiert. So ist zum Beispiel die ausgesprochen relevante Frage etwaiger Auswirkungen auf die Nahrungszusammensetzung hinsichtlich Energie- und Vitaminzufuhr der Patienten nicht ausreichend beantwortet. Eine aktuelle und bereits jetzt schon vielbeachtete Studie nahm sich dieser Thematik nun an.
Parodontitis-Patienten: Nahrungsaufnahme wurde analysiert und mit Referenzpopulation verglichen
Die Studie wurde in China geplant und umgesetzt. Zunächst wurden Patienten mit einer terminalen Parodontitis Stadium IV identifiziert. In einem zweiten Schritt wurde die Nahrungsaufnahme der letzten drei Tage anhand von Interviews und Fragebögen analysiert. Differenziert evaluiert wurden die tägliche Zufuhr von Makronährstoffen, wie Obst und Gemüse, und verschiedenen Mikronährstoffen, wie Vitaminen und Spurenelementen, sowie die Gesamtkalorienzufuhr. Die erhobenen Daten wurden mit den Werten einer chinesischen Referenzpopulation verglichen.
Kalorienzufuhr und Aufnahme von Obst und Gemüse geringer als in Vergleichsgruppe
Es konnten 51 Personen mit einem Durchschnittsalter von etwa 66 Jahren eingeschlossen werden. Etwa 92 % der Probanden hatten weniger als 20 Zähne und etwa 61 % hatten keine okkludierenden Zahnpaare mehr. Die Fähigkeit zu kauen und die mundgesundheitsbezogene Lebensqualität waren daher deutlich eingeschränkt. Bei Männern und Frauen betrug die tägliche Kalorienzufuhr ca. 1.514 kcal bzw. ca. 1.110 kcal. Die tägliche Kalorienzufuhr und die Aufnahme von Obst und Gemüse sowie der Vitamine A, C und E waren deutlich geringer als in der Vergleichsgruppe. Knapp 20 % der Probanden wiesen zusammengefasst ein erhöhtes Risiko für eine Mangelernährung auf.
Hinweise für zahnärztliche Praxis und Auswirkungen auf zukünftige Forschung
Die hier vorliegenden Daten wurden in einer kleinen asiatischen Population erhoben und sind so nicht ohne weiteres auf andere Populationen übertragbar. Zum gegenwärtigen Stand der Forschung ist es aber das, was aktuell verfügbar ist. Die Arbeit liefert deutliche Hinweise für Ernährungsdefizite bei Patienten mit terminaler Parodontitis Stadium 4. Sie legt nahe, dass Patienten mit einer schweren durch Parodontitis bedingten mastikatorischen Dysfunktion ihre Nahrungsaufnahme umstellen und die Zusammensetzung der Nahrung in für sie ungünstiger Weise ändern. Das steht einem gesunden Alterungsprozess diametral entgegen und würde bedeuten, dass in dieser speziellen Patientengruppe neben entsprechender Parodontitisprävention und systematischer interdisziplinärer Therapie auch eine Ernährungsberatung von großem Nutzen mit breiten Vorteilen für die Gesundheit wäre. Diese Studie setzt ein weiteres Thema im Kontext „Parodontale Medizin“ und wird daher mit großer Wahrscheinlichkeit als Initialzündung für weitere und größere Studien in anderen Populationen dienen.
Quelle: