Einsatz zahnmedizinischer Instrumente als gefährliche Körperverletzung?
D&W RedaktionDas Skalpell in der Hand eines Kieferchirurgen, der Zahnreiniger in der Hand eines Orthopäden, die Zahnextraktionszange in der Hand eines Zahnarztes: Der Einsatz gängiger Instrumente kann im schlimmsten Fall eine gefährliche Körperverletzung nach § 224 I Nr. 2 StGB darstellen.
Doch Schritt für Schritt: Wenn wir uns die Frage stellen, ob ein medizinisches Instrument in der Hand eines Zahnarztes eine gefährliche Körperverletzung darstellen könnte, müssen wir uns gedanklich ein paar Aspekte anschauen.
Ärztlicher Heileingriff als einfache Körperverletzung nach § 223 I StGB?
Zunächst stellt sich die Frage, ob ein (zahn)ärztlicher Heileingriff überhaupt eine einfache Körperverletzung nach § 223 I StGB ist, also der Grundtatbestand für die gefährliche Körperverletzung.
Das war früher umstritten. So hat eine Mindermeinung ärztliche Heileingriffe bereits aus dem Tatbestand des § 223 I StGB herausgenommen, sofern sie lege artis durchgeführt wurden. Inzwischen ist es jedoch herrschende Meinung, dass ein ärztlicher Heileingriff, wenn er nicht unerheblich in die körperliche Integrität oder Gesundheit eines Patienten eingreift, tatbestandlich eine Körperverletzung darstellt. Diese kann aber durch eine Einwilligung des Patienten gerechtfertigt sein – deshalb ist die Aufklärung und anschließende Einwilligung neben zivilrechtlichen Aspekten (z.B. Schadensersatz bei Behandlungsfehlern) auch strafrechtlich so wichtig.
Medizinische Instrumente als gefährliches Werkzeug i.S.d. § 224 I StGB?
Der springende Punkt ist jedoch, ob über die einfache Körperverletzung hinaus auch eine gefährliche Körperverletzung nach § 224 I StGB in Frage kommt. Dies hängt davon ab, ob ein medizinisches Instrument, wie beispielsweise eine Spritze, Knochensäge, Skalpell, Zange als gefährliches Werkzeug i.S.d. § 224 I Nr. 2 StGB anzusehen ist.
Ursprüngliche Ansicht des BGH
Seit den 70er-Jahren ging der BGH davon aus, dass (zahn)ärztliche Instrumente in der Hand eines approbierten Mediziners kein gefährliches Werkzeug und somit auch keine gefährliche Körperverletzung seien. Dies gelte sogar bei nicht medizinisch indizierten Heileingriffen. Begründet wurde das mit der alten Fassung des § 223a StGB a.F., sodass nach systematischer Auslegung ein gefährliches Werkzeug ein Unterfall einer Waffe sei. Daher käme es bei einem gefährlichen Werkzeug auf einen Angriffs- oder Verteidigungszweck an. Diesen erforderlichen Zweck würden ärztliche Instrumente bei Heilzwecken nicht erfüllen.
Freiheitsstrafe für gefährliche Körperverletzung
§ 223a StGB a.F. (31.01.1998) Gefährliche Körperverletzung
§ 223a Gefährliche Körperverletzung.
(1) Ist die Körperverletzung mittels einer Waffe, insbesondere eines Messers oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs, oder […] begangen, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.
Neue Ansicht des OLG Karlsruhe: Zahnextraktion als gefährliche Körperverletzung
Doch es gibt auch andere Stimmen aus der Rechtsprechung. Das OLG Karlsruhe hatte in seinem Beschluss vom 16.03.2022 die Frage zu klären, ob Zahnextraktionen durch einen Zahnarzt mit einer Zahnextraktionszange eine gefährliche Körperverletzung dargestellt haben könnte. In diesem Fall kam es dem Zahnarzt darauf an, Patienten eine medizinische Indikation vorzugaukeln, die Zähne zu ziehen und danach lukrativen Zahnersatz zu implantieren.
Dabei hat das OLG festgestellt, dass der heutige § 224 I Nr. 2 StGB mit der 6. Strafrechtsreform vom 26.01.1998 geändert wurde und seitdem das gefährliche Werkzeug gerade kein Unterfall der Waffe mehr ist. Vielmehr ist jetzt nach dem Wortlaut die Waffe ein Unterfall eines gefährlichen Werkzeugs.
Gefährliches Werkzeug aus Sicht der Rechtsprechung
§ 224 StGB n.F. (01.04.1998) Gefährliche Körperverletzung
(1) Wer die Körperverletzung
1. […]
2. mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3 [.…]
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
Auch wenn man argumentieren könnte, dass der damalige Gesetzgeber bei der Strafrechtsreform die ursprüngliche Systematik mutmaßlich beibehalten wollte, sprechen doch der aktuelle Wortlaut und die Systematik für die Auslegung des OLG.
Ebenso scheint ein pauschaler Ausschluss von medizinischen Instrumenten bei ärztlicher Handhabung aus dem Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung mit Blick auf den Unrechtsgehalt wenig plausibel, sofern sie geeignet sind, im konkreten Fall erhebliche Verletzungen herbeizuführen.
Aufgrund dieser neuen systematischen Auslegung gibt es keinen Anlass mehr, für ein gefährliches Werkzeug den Angriffs- oder Verteidigungscharakter im Vergleich zu einer Waffe zu berücksichtigen. Somit ist auf die „klassische“ Definition eines gefährlichen Werkzeugs abzustellen. Danach liegt ein gefährliches Werkzeug vor, wenn es aufgrund der objektiven Beschaffenheit und Verwendung im konkreten Fall geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen.
Im vorliegenden Fall beurteilte das OLG Karlsruhe umfassend, inwiefern das Zähne ziehen mit der Zange konkret geeignet ist, erhebliche Verletzungen in Dauer und Intensität zu verursachen.
In diesem Fall ging das Gericht aufgrund des unwiederbringlichen Verlustes von Teilen des Gebisses, nicht unerheblichen Schmerzen nach dem Abklingen der örtlichen Betäubung, Schwierigkeiten bei der Nahrungsaufnahme, für einige Tage offene Wunde und die daraus resultierende Gefahr für Entzündungen von der konkreten Eignung für erhebliche Verletzungen aus.
Daher sah das OLG in der Zange ein gefährliches Werkzeug, damit eine gefährliche Körperverletzung.
Der Umstand, dass der Zahnarzt grundsätzlich zur regelrechten Bedienung des Instruments in der Lage war, hat bei der Beurteilung keine Rolle gespielt.
Kritische Stimmen
Kritiker der OLG-Rechtsprechung könnten die Annahme einer gefährlichen Körperverletzung mit einer teleologischen Reduktion des gefährlichen Werkzeugs ablehnen, da ein medizinisches Instrument in der Hand eines Arztes weniger gefährlich als in der Hand eines möglichen Angreifers sei, jedenfalls wenn der Eingriff lege artis durchgeführt worden ist. Diese Ansicht würde jedoch in diesem konkreten Fall auch nicht weiter helfen.