Allzeithochs überall: Wie Anleger die Lage jetzt richtig einschätzen
D&W RedaktionOb DAX, Euro Stoxx oder Nasdaq: Wichtige Aktienindizes und bekannte Einzeltitel haben in jüngster Zeit neue Höchststände erreicht. Viele Privatanleger stellt das vor ein Dilemma: Können sie jetzt noch bei Aktien einsteigen oder ihren Anteil an Dividendentiteln spürbar erhöhen? Oder besteht die Gefahr, dass die Märkte nach ihrem Kauf den Weg in Richtung Süden einschlagen?
Unter erfahrenen Vermögensprofis gibt es ein etwas bissiges Bonmot: Entweder ist die Stimmung bei Privatanlegern schlecht, weil sie nicht glauben, dass die Aktienmärkte steigen werden – oder sie befürchten nach neuen Höchstständen, dass Aktien bereits zu gut gelaufen seien.
Doch wer das Börsen-Drama immer in diesen Zwei-Akter pressen möchte, verpasst den Hauptteil: „Das Schönste ist ein Aufwärtstrend, der sich – allerdings naturgemäß mit teils kräftigen Schwankungen – über Monate und Jahre entwickelt und in dem das Vermögen der Anleger teils sehr deutlich wachsen kann“, sagt Sven Langenhan von der Vermögensverwaltung HRK LUNIS mit Standorten u.a. in Hamburg, Frankfurt und München. Im Vergleich zu den kurzfristigen Über- und Untertreibungen an der Börse nähmen diese Trendphasen oft deutlich mehr Zeit in Anspruch, so der unabhängige Vermögensverwalter.
Neue Höchststände bei Aktien sorgen oft für Nervosität
Gleichwohl sorgen neue Höchststände regelmäßig für Nervosität unter Privatanlegern. Zumindest den Älteren steckt wohl die Erinnerung an den Dot-com-Crash (2000-2002) sowie die Finanzkrise (2008/09) noch in den Knochen. Damals sausten die Aktienindizes nach neuen Höchstständen zwischen 50 bis 70 Prozent in die Tiefe und verleideten manchem Anleger dauerhaft die Lust auf Aktien. Allerdings ist auch Fakt: „Solche hohen Kursverluste nach neuen Allzeithochs sind eine Ausnahme. Meist kommt es nach Allzeithochs auf Sicht von Monaten zu weiteren Kursanstiegen“, sagt der unabhängige Vermögensverwalter Anton Vetter von BV&P Vermögen aus Kempten.
Deutliche Zugewinne in Aktienmärkten nach bisherigen Allzeithochs
In der Tat zeigen Recherchen des Autors, dass die Aktienmärkte nach neuen Höchstständen in den folgenden drei, fünf oder zehn Jahren sehr oft zulegen konnten – und das teils sehr deutlich.
So hat der weltweit tonangebende US-Aktienmarkt, abgebildet durch den S&P 500, seit dem Jahr 1994 nach markanten Höchstständen innerhalb von drei Jahren zwischen 11 und 114 Prozent zugelegt (siehe Tabelle). Fünf Jahre nach diesen Hochpunkten betrugen die Zugewinne zwischen 68 und 180 Prozent, zehn Jahre später waren es jeweils rund 150 Prozent.
Nach keinem der insgesamt elf Zeiträume saßen Anleger auf Verlusten.
Das einzige Mal, in der mit dieser Methode zeitweilig rote Zahlen entstanden, war während der Corona-Krise: So fiel der S&P 500 im März 2021 wegen des globalen wirtschaftlichen Shutdowns rund ein Viertel unter das Allzeithoch, das acht Monate zuvor entstanden war. Doch schon im Juli 2021 war diese Scharte ausgebügelt und der Index notierte über dem Einstiegsniveau.
So schneidet der S&P 500-Aktienindex nach markanten neuen Allzeithochs ab*
Allzeithoch | nach 3 Jahren | nach 5 Jahren | nach 10 Jahren |
Februar 1995 | 114 % | 180 % | 147 % |
März 2013 | 31 % | 68 % | 152 % |
Juli 2016 | 37 % | 90 % | -- |
Juli 2019 | 39 % | 80 % (10.06.24) | -- |
Juli 2020 | 11 % | -- | -- |
Januar 2024 | -- | -- | -- |
*gemessen am ältesten ETF auf den S&P 500 in US-Dollar (SPY) inkl. Dividenden. Allzeithoch = Monatsschluss mit Höchststand nach vorheriger Korrektur bzw. Bärenmarkt (> -20%). Prozentzahlen jeweils zum Monatsschluss berechnet und kaufmännisch gerundet. Daten: finance.yahoo.com / Recherche: Jürgen Lutz
Aufwärtstrends der Aktienmärkte können mehrere Jahre dauern
„Die Tatsache, dass die Aktienmärkte nach neuen Höchstständen weitere ordentliche Zugewinne verbuchen können, ist für viele Anleger kontraintuitiv“, sagt Sven Langenhan. Privatanleger glaubten oft, dass es am Aktienmarkt nur darum gehe, möglichst billig zu kaufen und schreckten daher vor Käufen an markanten Allzeithochs zurück, so der Vermögensprofi. Dabei sind neue Höchststände nach Meinung etlicher Börsenexperten ein Ausdruck von Stärke, die auch als Momentum bezeichnet wird.
Dieses Momentum wird anfänglich genährt von großen Adressen, etwa Fondsmanagern, die beobachten, wie die Gewinne bestimmter Unternehmen und Branchen anziehen und daher bei diesen Aktien zuschlagen. Mit der Zeit springen immer mehr Anleger auf den anfahrenden Zug auf und treiben den neuen Trend weiter voran. „Unterm Strich geht das so lange weiter, wie die Erwartungen der Großanleger zumindest erfüllt oder am besten übertroffen werden. Bis sich ein solcher Trend umkehrt, kann es mehrere Jahre dauern“, sagt Langenhan.
Der neue Aufwärtstrend am Aktienmarkt ist noch jung
Wie ist die aktuelle Situation vor diesem Hintergrund zu interpretieren? Anders als in den Jahren 1999/2000 haben die Indizes keinen mehrjährigen Aufwärtstrend mit deutlichen Übertreibungen hinter sich. Im Gegenteil: „Die massiven Zinserhöhungen im Jahr 2022 haben einen Bärenmarkt bei Aktien und damit eine herbe Bewertungskorrektur bei vielen Papieren ausgelöst, was nun als Sprungbrett für einen wohl dauerhaften Kursanstieg dienen kann“, sagt Anton Vetter. In der Tat markierte der S&P 500 erst im Januar 2024 ein neues Allzeithoch, sodass der neue Aufwärtstrend noch recht frisch ist. Schaut man auf die Phasen seit dem Jahr 1950, in denen es zu einem solchen neuen Ausbruch kam, zeigt sich klar: In den folgenden Jahren war an den Aktienmärkten stets gutes Geld zu verdienen.
Autor: Jürgen Lutz