Zweifelhafte Zertifikate: Hausbanken empfehlen zu komplexe Produkte
D&W RedaktionWenn‘s ums Geld geht, dann sollte man besser nicht unbedingt jedes Produkt vom Institut ums Eck nehmen. Und nicht auf jeden Rat hören: Manchmal empfehlen Berater viel zu schwierige Anlagelösungen, obwohl es einfachere und bessere Lösungen zum Vermögensaufbau gibt.
Früher war alles so einfach: Da gingen Kunden zur nächsten Sparkasse oder Volksbank und brachten ihr Erspartes aufs sichere Sparbuch. Heute gilt so etwas zu Recht als überholtes Investment und mancher Berater wird sehr kreativ, wenn es um Alternativen geht. Da heißt es aufzupassen. Denn gerade bei der Hausbank um die Ecke werden verstärkt Zertifikate als Anlagemöglichkeit empfohlen. Das Geschäft mit ihnen boomt laut dem Bundesverband für strukturierte Wertpapiere in Deutschland: Zum Jahreswechsel waren 112 Milliarden Euro in diese Art Finanzprodukte investiert, 40 Prozent mehr als im Vorjahr.
Die führenden Anbieter sind ausgerechnet aus dem Sparkassen- und Volksbanklager und teilen sich mehr als zwei Drittel des Marktvolumens. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) beobachtet diese Entwicklung gerade genau, ob noch ein anlegergerechter Vertrieb gewährleistet ist. Denn solche Produkte sind nicht für jedermann geeignet und können hohe Verluste einbringen, wie der folgende Fall zeigt.
Fallbeispiel: Teure Anlagealternative
Eine 91-jährige wollte vor etwas mehr als zwei Jahren ihre Ersparnisse von 20.000 Euro anlegen. Sie bekam dafür vom Berater ihrer örtlichen Sparkasse ein Zertifikat mit vermeintlich besseren Zinsaussichten als etwa bei einem Tagesgeldkonto empfohlen. Tatsächlich klangen garantierte 2,3 Prozent im Jahr nach einem guten Angebot in damaligen Zeiten von mehr oder weniger Nullzinsen. Leider war sich die betagte Sparerin aber wohl nicht ganz darüber im Klaren, zu welchen Bedingungen sie hier investierte. Denn die Zinsgarantie galt nur in den ersten zwei Jahren. Anfang diesen Jahres blieb dann nicht nur der Ertrag aus, der ab da an die Entwicklung eines Referenzzinssatzes gebunden war. Sondern auch der Kurswert des Zertifikats sank um mehr als 50 Prozent.
Denn was sie wohl ebenfalls nicht ganz verstanden hatte, das Produkt hat eine Laufzeit von 20 Jahren, das eingesetzte Kapital wird erst im Jahr 2041 vollständig zurückgezahlt. Da sie nicht so lange warten wollte, verkaufte die inzwischen 93-jährige das Zertifikat mit rund 10.000 Euro Verlust. Ein teurer Versuch, die damals mageren Zinsen auf einem Tagesgeldkonto zu umgehen.
Strukturierte Zertifikate: Kein Produkt für Alle
„Der Vergleich mit Tagesgeldangeboten verbietet sich“, erklärt Michael Thaler, Vorstand beim Starnberger Vermögensverwalter Top Vermögen AG. Denn solche Produkte, obwohl sie oft auch als sicher eingestuft werden, sind deutlich komplexer als die bekannten Sparprodukte und sind grundsätzlich nichts anderes als Schuldverschreibungen. „Anleger haben mit strukturierten Zertifikaten wohl zugegebenermaßen in der Regel höhere Renditechancen, aber eben neben dem Emittentenrisiko auch so gut wie immer ein Kursrisiko, welches von den Entwicklungen am Kapitalmarkt abhängig ist“, erläutert Anlagefachmann Michael Thaler und rät, auch die manchmal gar nicht so geringen Kosten miteinzukalkulieren.
Auch Marian Henn, Vermögensverwalter und Partner bei der Allington Investors AG aus Bad Homburg, sieht die Produkte zumindest für normale Anleger kritisch: „Zertifikate sind hauptsächlich ein Investmentwerkzeug für Profis, da haben sie auch ihre Berechtigung.“ Aber für den Ottonormalverbraucher, der meist nur Geld parken oder relativ sicher Vermögen aufbauen will, eignen sie sich meist nicht. Er empfiehlt hier eher einen Sparplan auf einen klassischen Aktien- oder Mischfonds, um langfristig Kapital zu bilden, statt auf Zertifikate zu setzen. Nur wer ganz genau versteht, zu welchen Bedingungen investiert wird, wofür ein Zertifikat geeignet ist und welche Risiken es hat, sollte es nutzen.
So funktionieren Zertifikate
Zertifikate sind Schuldverschreibungen einer Bank. Sie verbriefen in der Regel, dass der Käufer an der Preisentwicklung eines Basiswertes beteiligt ist. Das kann eine einzelne Aktie, ein ganzer Börsenindex, Wechselkurse, Devisen, Zinssätze oder Rohstoffe etc. sein. Oft haben Zertifikate eine gewisse Laufzeit, können aber auch quasi unendlich konstruiert werden. Es gilt immer genau die Bedingungen zu kennen, denn die Entwicklung des Basiswerts muss nicht 1:1 nachvollzogen werden.
Es gibt praktisch alle möglichen Varianten, von gegenläufigen und gehebelten Konzepten bis zu Gewinnbegrenzungen und Verlustschwellen, Discounts, Boni, usw. Gerade bei strukturierten Produkten kann das sehr komplex gestaltet und die tatsächliche Funktionsweise für Laien nur schwer verständlich sein. Je nach Produkt kann die Marktentwicklung dann den Kurs des Zertifikats überproportional bis zum Totalverlust beeinflussen. Grundsätzlich bedenken sollten Investoren, dass im Gegensatz zu einer Aktie oder den meisten Investmentfonds der Inhaber mit einem Zertifikat keine Eigentumsrechte erwirbt. Kurz gesagt: Geht die ausgebende Bank pleite, ist das investierte Geld in der Regel weg. Profis sprechen hier vom Emittentenrisiko.
Beispiel:
Das Produkt der 90+Anlegerin: DekaBank Geldmarktanleihe Flex 05/2041 (K) (ISIN: DE000DK00B85)
Das Zertifikat der zum Sparkassenuniversum zählenden DekaBank ist eine Wette auf die Entwicklung des Euribors. Das ist der Zinssatz, zudem sich europäische Banken gegenseitig Geld leihen. Der lag 2021, als das Produkt herausgegeben wurde, im Minus und notiert heute, nach der überraschend schnellen Zinswende, wieder zwischen drei und vier Prozent im Plus. Das Zertifikat mit 20 Jahren Laufzeit lockte Anleger mit für zwei Jahren garantiertem Zins von 2,3 Prozent. Aus damaliger Sicht ein sehr gut Zinssatz. Wäre der Euribor die nächsten 18 Jahre im Minus geblieben, hätten sich Anleger immerhin weiter über maximal zwei Prozent Zinsen pro Jahr freuen können.
Die Wette hat allerdings auch ein Haken: Erreicht der Zins wieder den positiven Bereich, wird er mit dem Faktor vier multipliziert und von diesem Maximalzins abgezogen. Das heißt ab 0,5 Prozent Euribor oder darüber liegt die Zinszahlung bei null. Da dadurch theoretisch kein Verlust entsteht und die Auszahlung des investierten Kapitals in 20 Jahren zu 100 Prozent garantiert ist, wurde das Produkt als recht sicher eingestuft. Anlegern muss aber bewusst sein, dass natürlich bis dahin bei einem Euriborzins von 0,5 Prozent oder mehr niemand oder nur mit sehr großem Abschlag dieses Zertifikat abkaufen will. Das heißt, der Kurs des Wertpapiers kann zwischenzeitlich empfindlich sinken.
Autor: Florian Junker