Wirtschaftsnachrichten für Zahnärzte | DENTAL & WIRTSCHAFT
Praxis

Dr. Dr. Manfred Wolf ist seit mehr als 35 Jahren in der Nähe von Stuttgart niedergelassen. Seine kieferchirurgische Tätigkeit begann bereits 1983 an der Universität Aachen unter Prof. Koberg und Prof. Spiekermann.

Herr Dr. Dr. Wolf, wie hat sich die Implantologie aus Ihrer Sicht in den letzten 35 Jahren verändert?

Als ich meine kieferchirurgische Tätigkeit in Aachen begann, war die Hauptindikation für Implantate die nicht haltende Prothese. Unterkieferprothesen waren ohne Implantologie ein Riesenproblem. Mit zwei oder besser vier Implantaten konnten diese Fälle meist mit Hybridkonstruktionen zu einem sehr positiven Ergebnis geführt werden. Die Patienten waren sehr dankbar und zufrieden.

Es folgten Freiendsituationen im Ober- und Unterkiefer, die die unzulänglichen prothetischen Versorgungen wesentlich erträglicher machten. Parallel dazu rückte die Einzelzahnrekonstruktion immer mehr in den Vordergrund. Die Einführung rotationsgesicherter Implantatsysteme ermöglichte diese Versorgungsform. Die Erkenntnis, dass ein Implantat die Knochenatrophie verhindert, lieferte die inhaltliche Begründung für das Vorgehen.

Heute sind in unserer Praxis etwa 60 % aller gesetzten Implantate Einzelzahnimplantate, 35 % Freiendsituationen und der kleine Rest entfällt auf zahnlose Kiefer. Früher habe ich in etwa 5 % der Fälle einen Knochenaufbau gemacht, heute sind es über 50 %. Während früher die funktionelle Rekonstruktion im Vordergrund stand, sind es heute natürlich die Ästhetik und das vorhersagbare Ergebnis.

Was hat sich in der Praxisführung geändert?

Die Zeit ist viel schneller geworden. Die Aufgaben sind viel komplexer und die gesetzlichen Verpflichtungen nehmen überhand. Gleichzeitig ist der individuelle Handlungsspielraum massiv geschrumpft und insbesondere der zahnärztliche Konkurrenzkampf hat unter Verlust der wahren
Kollegialität enorm zugenommen – jeder ist besser als der andere. Dabei hat die sachliche Demut vor der ärztlichen und zahnärztlichen Kunst erheblich gelitten. Zudem hat das Spezialistentum um sich gegriffen, nur wer die meisten bunten Zertifikate an der Wand hängen hat und auch anderweitig fortgebildet ist, hat noch eine Berechtigung. Wer sich tagtäglich bemüht, wer im Stillen denkt und sich dem Patienten menschlich zuwendet, entspricht heute nicht mehr dem Ideal des Arztes. Das ist sehr schade.

Auch die Abrechnung ist zu einem umfangreichen Monstrum geworden, gespickt mit Vorschriften, Kommentaren und Regelungen. Jeder zweite Privatversicherte kommt mit einem Pamphlet seines
Versicherers, das jede Behandlung in Frage stellt. Die Terminvergabe für eine Behandlung ist schwierig geworden, weil im Überangebot an Terminen auf Patientenseite kaum noch eine Lücke für eine notwendige Behandlung zu finden ist. Früher kam der Patient persönlich in die Praxis und bat um einen Termin. Im Laufe der Jahre kam das Telefon dazu, dann das Fax und heute soll man auf allen Kanälen
immer und jederzeit erreichbar sein. Ein Wust an Ablenkungen und für mich eine Verschleierung des Notwendigen.

Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen sich in all dem zurechtfinden und brauchen darüber hinaus Zuwendung und Verständnis, denn die Flut dessen, was auf sie einströmt, ist erdrückend. Alles in allem verlagert sich für den Praxisinhaber immer mehr Arbeit in den Feierabend oder auf das Wochenende. Ausgebildete Auszubildende können oft nur gehalten werden, wenn ihre Erwartungen voll erfüllt werden und die Work-Life-Balance nicht gestört wird.

Kann sich denn eine Zahnärztin oder ein Zahnarzt um all das selbst kümmern?

Bei der Fülle der Aufgaben und dem Anspruchsprofil von Patienten und Mitarbeitenden ist das fast nicht mehr allein zu schaffen. Aber wohin soll man abgeben? Denn es ist auch arbeitsintensiv zu delegieren und am Ende doch die richtigen Entscheidungen zu treffen. Vor Jahren wollte ich meine Frau entlasten und stellte eine Buchhalterin ein, die im Sinne einer kaufmännischen Halbtagskraft die Buchhaltung, die Lohnbuchhaltung und das Controlling erledigen sollte. Sie wurde sehr zeitintensiv eingearbeitet. Am Ende stimmte leider gar nichts mehr – trotz aller Kontrollen hatten sich so viele Fehler eingeschlichen, dass der
Zeitaufwand für Korrektur und Ordnung alles bisher Dagewesene sprengte. Ein Dilemma, für viele Arbeitnehmer ist heute ein Großkonzern mit Dienstwagen und anderen Attributen verlockender als eine kleine Zahnarztpraxis.

Sie planen Ihre Praxis in naher Zukunft an Ihre Tochter zu übergeben. Haben Sie dafür externe Dienstleister in Anspruch genommen?

Nein und ich habe das auch nicht vor. Ich durfte in meiner sehr langen Berufstätigkeit selbst sehr viele Beratungen zu Praxisübergaben machen und wurde sehr oft zu diesen Themen befragt. Ganz wichtig ist, dass die ältere Generation ihre Praxis loslässt, denn es soll ja die Praxis der nachfolgenden Generation werden. Genau da werden aber die meisten Fehler gemacht. Anstelle das immer im Kopf zu haben, werden Rechtsanwälte und unendlich viele Berater beschäftigt, die Papier produzieren, über das sich hinterher noch unendlich streiten lässt. Ich denke es sollte einfacher gehen. Denn einer will was hergeben, der andere will es haben. Der Abgebende hatte seine Zeit der inhaltlichen Verwirklichung. Der Übernehmer sollte sich die Freiheit nicht einschränken lassen, diese Verwirklichung zu finden. Ein Vertrag muss ohne Zweifel sein, der juristisch und steuerlich passt. Ganz wichtig finde ich: Nach der Übergabe
ist der Übernehmende der Chef und der alte Chef – sofern er noch mitarbeitet – eben nicht mehr. Das entschlackt den Alltag, ohne Gift und Galle.

Welches steuerliche Wissen sollte man haben?

Der Verkaufspreis wird für das Praxisinventar, die Praxiseinrichtung und die Praxisausstattung bezahlt. Einen ideellen Wert anzusetzen ist dumm, da dieser nicht abgeschrieben werden kann! In der Regel ist es sinnvoll, eine Praxis nicht zum Jahresende zu übergeben, da die gegenseitigen steuerlichen Vorteile in der Mitte des Jahres meist größer sind. Das sind die Big Points! Alles andere sind Zutaten, die eigentlich überflüssig sind, aber oftmals die meisten Seiten der Verträge ausmachen.

Vor fast 40 Jahren habe ich die Immobilie gekauft, in der ich heute noch meine Praxis betreibe. Der Kaufvertrag beschrieb das Haus, den Kaufpreis und wann das alles passieren sollte – ein Vertrag mit gerade mal fünf Seiten. Kürzlich sollte ich einen Kaufvertrag für eine ähnliche Immobilie gegenlesen – er umfasste 23 Seiten.

Was denken Sie, wie sich die Implantologie in den nächsten zehn Jahren entwickeln wird?

Die Entwicklung ist relativ klar. Wir werden keine umwerfenden Innovationen mehr sehen, die Zeit von neuen Implantatoberflächen und Innen- oder Außenverbindungen ist vorbei. Die Implantologie wird mehr in die Breite der Bevölkerung kommen, Gleiches wird sich in den Praxen abspielen. Immer mehr Kolleginnen und Kollegen werden implantieren und das Behandlungskonzept in den Alltag integrieren.

Ich sehe hier Parallelen zur Automobilindustrie. Dort gab es Anfang der 70er Jahre über 100 PKW-Hersteller, die alle individuell waren. Da aber reine Qualität kein industrielles Überleben sichert, sondern Stückzahlen notwendig sind, hat dies zum Verschwinden von kleinen Herstellern geführt. So wird es auch
in der Implantologie sein. In zehn Jahren werden wir weniger, aber größere Hersteller haben. Die Implantatformen werden sich immer mehr angleichen. Auch hier wieder eine Parallele – heute unterscheidet sich ein Audi auf den ersten Blick kaum von einem Mercedes. Während einer OP werden wir scannen und beim Freilegen gleich die Krone einsetzen. Wir werden den digitalen Workflow unter Einbeziehung der Kieferorthopädie vorantreiben.

Das ist alles auch eine Frage dessen, wofür unsere Gesellschaft bereit ist, Geld auszugeben. Wenn die Zahnmedizin den Stellenwert von heute behält, gibt es unverändert vieles zu tun, besonders auch in der Implantologie. Wenn die Zahnmedizin eher unwichtig wird, dann werden wir bei den teuersten Therapien am schnellsten einen Rückgang feststellen – Corona hat es gezeigt, wie schnell Veränderungen eintreten
können.

Das Interview führte Carmen Bornfleth.

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