Endlich selbstständig! Oder wie ich nicht nur Zahnärztin, sondern auch Personal-, Marketing- und Finanzexpertin wurde
D&W RedaktionIn ihrer Kolumne „Bitte lächeln!“ berichten die niedergelassenen Zahnärztinnen Dr. med. dent. Juliane Becker und Dr. med. dent. Schamiem Stumpfe aus ihrem Praxisalltag. In dieser Folge geht es um den Sprung in die Selbstständigkeit und ihre überraschenden Herausforderungen.
48.180 Stunden bzw. 2.007,5 Tage bzw. 5,5 Jahre bzw. 5 Semester Vorklinik, 5 Semester Klinik und 1 Semester Staatsexamen – solange dauert das Zahnmedizinstudium. Wer das geschafft hat, fühlt sich danach wie ein König und denkt: jetzt geht das (Zahnarzt-)Leben endlich richtig los. Nach der Assistenzarztzeit (weitere 2 Jahre) oder einer zusätzlichen Facharztausbildung (z. B. weitere 4 Jahre zum Kieferorthopäden), freut man sich hauptsächlich darauf, endlich in die Selbstständigkeit starten zu können.
Der Sprung in die Selbstständigkeit
Dr. Juliane Becker: Für mich war es schon immer ein Traum, eine eigene Praxis zu betreiben. Nach unserem Umzug in den Süden und mehreren Initiativschreiben an Bestandspraxen konnte ich dann auch tatsächlich meine Wunschpraxis übernehmen. Vom Erstgespräch bis zum 1. Arbeitstag in meiner Praxis dauerte es genau 6 Monate. Eine gute Struktur im Hintergrund und gezieltes Abarbeiten von Checklisten haben mir geholfen, dass am Ende alles mit der Übergabe reibungslos geklappt hat.
Dr. Schamiem Stumpfe: Bei mir wurde aus einer Träumerei plötzlich Realität. Irgendwie hatte ich bereits viel zu viel Geld für Berater und Ähnliches ausgegeben, um noch mal den Rückzug antreten zu können. Nach viel Planung, Arbeit, Schweiß und Tränen stand ich am 9.12.2019 in meiner Praxis. Die war zwar noch nicht ganz fertig gestrichenen und der Bodenbelag war noch nicht komplett ausgelegt, aber ich dachte nur: Endlich kann ich mich komplett auf meinen Job als Kieferorthopädin konzentrieren.
Das Ankommen in der Realität: Oder warum es nicht ausreicht, nur Zahnärztin zu sein
Und wie sieht nun unsere Realität in der Praxis aus?
Ein Tag in der eigenen Praxis könnte manchmal mehr als 24 Stunden haben. Während die Helferinnen die Sprechstunde vorbereiten, sind wir bereits beim Betreten der Praxisräume dabei, die ersten Probleme in Empfang zu nehmen: „Frau Dr., die Lampe geht nicht, der Sterilisator rauscht, die Dentaleinheit leckt, die Azubine ist krank“. Und, ach ja, der Artikel für die Zeitung, den man doch so fest eingeplant hatte, fehlt auch noch! Bevor man also den Bohrer am Patienten schwingt, verbringt man viel Zeit damit, irgendwelche Glühbirnen zu suchen, die Assistenz umzuorganisieren oder Telefonate zur Klärung der neuen Marketingstrategie oder auch mit der Bank zu führen.
Zahnärztin, Handwerkerin, Personalmanagerin…
Und wenn dann endlich die ersten Patienten hereinkommen und prompt durch eine Pfütze laufen, entdeckt die Zahnärztin noch ganz neue Fähigkeiten an sich, nämlich die als Handwerkerin!
Oder haben Sie schon mal etwas von O-Ringen gehört? Nein, wir meinen nicht die Ohrringe, die man sich ins Ohr stecken kann. Wir meinen die Wurzel allen Übels in der Zahnarztpraxis! Die Dentale Einheit leckt? Der Sterilisator pfeift? Das Winkelstück dreht sich nicht? Schuld sind immer die O-Ringe! Hätte uns mal einer im Studium gesagt, was das ist, dann hätten wir uns viele Telefonate und Kosten erspart. Deshalb lautet einer der wichtigsten Tipps für die eigene Praxis: Du musst immer O-Ringfett und Ersatz O-Ringe in der Praxis haben! Diese kleinen Dichtungsringe lösen 90 % der technischen Probleme.
Während man Patienten behandelt, fällt einem wieder diese eine kahle Wand auf, auf die man jeden Tag schaut. Hat man sich so seine eigene (schicke oder gemütliche) Praxis vorgestellt? Sicher nicht. Kriegt man zeitnah einen Malermeister organisiert, der das Problem schnell und nach den eigenen Vorstellungen löst? Nein, natürlich nicht! Gefragt sind also auch hier die eigenen Fähigkeiten. Nach dem Weg in den Baumarkt verbringt man die nächsten Nächte damit, die Praxisräume umzugestalten. Um tagsüber dann endlich der eigentlichen Arbeit als Zahnärztin nachgehen zu können.
Jetzt auch noch Personalmanagerin….
Das schwierigste Thema in der eigenen Praxis ist aber die Personalsuche! Immerhin: Das sagen einem tatsächlich alle schon vor der Praxisgründung. Man glaubt es aber erst, wenn man es selbst erlebt hat! Haben Sie schon Personal gefunden, das zu Ihnen passt und das verkörpert, was die Praxis verkörpert? Dann halten sie es mit beiden Händen gut fest! Man kann schon froh sein, wenn die Bewerberin überhaupt zum Vorstellungsgespräch erscheint. Glauben Sie uns: Die meisten grauen Haare werden Ihnen beim Thema Personal wachsen.
Und wo bleibt die Work-Life-Balance?
Die allergrößte Herausforderung mit einer eigenen Praxis ist: Sich Zeit für sich selbst zu nehmen! Vor allem im ersten Jahr der Selbstständigkeit dreht sich im Kopf und im Leben gefühlt alles nur um die Praxis. Dabei vergisst man häufig, dass zu Hause vielleicht auch noch einen Ehemann und Kinder warten, die nicht nur über die Praxis sprechen möchten.
Im Nachhinein merkt man, dass die Wochenenden irgendwann wieder der Erholung dienen sollten und man nie den Fokus auf die eigene Gesundheit verlieren darf. Selbst und ständig trifft es immer wieder, aber bitte nicht um jeden Preis.
Fazit
Man muss hineinwachsen in die Herausforderung eine gute Zahnärztin und zugleich Vorbild und Chefin für die Mitarbeiter, Unternehmerin und zugleich auch Ehefrau und Mutter zu sein. Wenn man alles mit Freude und Berufung begleitet, ist es also nur noch ein Klacks sich das tägliche Lächeln zu bewahren.
Unsere Kolumnistinnen: Dr. Juliane Becker ist Zahnärztin und hat 2018 eine Bestandspraxis in Dießen am Ammersee übernommen. Dr. Schamiem Stumpfe ist Kieferorthopädin und hat seit Dezember 2019 ihre kieferorthopädische Praxis in Starnberg.