Fachkräftemangel in der Zahnmedizin: Ressourcen schaffen, Rahmenbedingungen verbessern
D&W RedaktionDer Fachkräftemangel in der Zahnmedizin ist ein zunehmendes Problem, das nicht nur in Deutschland, sondern weltweit zu beobachten ist. Wer zum Beispiel in Flandern auf der Suche ist nach einem neuen Zahnarzt, steht vor einer großen Herausforderung: Aufgrund des Mitarbeitermangels gibt es kaum eine Praxis, die noch neue Patienten aufnimmt. Bestandspatienten müssen hingegen nicht selten mehrere Monate auf einen Termin warten – selbst in Fällen, in denen eine rasche Behandlung notwendig wäre. Was in Belgien bereits Realität ist, steht Praxen in Deutschland kurz bevor.
Patientenstopps und verkürzte Behandlungszeiten sind auch in Deutschland keine Seltenheit mehr. Oftmals hat das Personal in einer solchen Praxis bereits eine monatelange Odyssee mit zahlreichen Überstunden hinter sich und die Belastungsgrenze ist bei vielen Teammitgliedern überschritten.
Persönliche Konsequenzen für das gesamte Praxisteam
Wenn es an Fachkräften fehlt, dann ist zunächst das Praxisteam gefragt: Überstunden und zusätzliche Arbeit werden zur Routine, und gerade in kleinen Teams belastet das nicht nur die Arbeitsabläufe, sondern auch die Stimmung im Team. Die ständige Umverteilung von Aufgaben führt intern zu Spannungen und Frustrationen. Wenn private Verpflichtungen – wie Kinderbetreuung, Arztbesuche oder lang geplante Termine – durch die Mehrarbeit durcheinandergeraten, steigt der Druck zusätzlich. Solche Situationen hinterlassen Spuren: Die gegenseitige Unterstützung nimmt ab, die Zeit für private Gespräche werden seltener, und das Zusammengehörigkeitsgefühl leidet. Dies hat nicht nur Auswirkungen auf die tägliche Zusammenarbeit, sondern auch auf das gesamte Arbeitsklima.
Langfristig kann diese Dauerbelastung zum Wechsel der Praxis, zur Erschöpfung oder einem hohen Krankenstand führen – ein Phänomen, das auch die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) bestätigt. Ihr zufolge steigt mit dem zunehmenden Fachkräftemangel das Risiko für Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz. Davon sind auch PraxisinhaberInnen betroffen: Der hohe Druck führt zu einer Überlastung und zusätzlichem Stress, wodurch sich die Gefahr eines Burnouts deutlich erhöht.
Wirtschaftliche Konsequenzen des Fachkräftemangels
Wenn dann auch noch mehr Mitarbeiter wegen Krankheit ausfallen, bleibt oft keine andere Wahl, als die Behandlungs- und Öffnungszeiten zu verkürzen. Das bedeutet: Weniger Termine für Routineuntersuchungen, Prophylaxe oder planbare Eingriffe wie Füllungen und Zahnextraktionen. Für viele Zahnarztpraxen führt dies zu Umsatzeinbußen, da sie stark auf diese regelmäßigen Behandlungen angewiesen sind. Bei Stammpatienten kann dies zu großer Unzufriedenheit und zum Praxiswechsel führen. Notfallpatienten, die während der regulären Öffnungszeiten kommen, könnten aufgrund der eingeschränkten Praxiszeiten ausbleiben und stattdessen auf Notfallzentren oder Kliniken ausweichen – wo sie womöglich bleiben, wenn sie zufrieden sind. Dieser finanzielle Druck belastet Praxisinhaber zusätzlich. Die kostspielige Suche nach neuem Personal verschärft die Situation weiter, sodass viele Zahnärztinnen und Zahnärzte unter Existenzangst leiden.
Gründe für den Personalmangel in Zahnarztpraxen
Obwohl das Statistische Bundesamt die Ausbildung zur ZFA als einen der beliebtesten Berufe unter jungen Frauen nennt, zeigt sich in den Praxen ein anderes Bild. Einer Analyse der Bundesagentur für Arbeit zufolge ist der Beruf der ZFA sogar stärker als andere Berufe von einem Mangel an Fachkräften betroffen. Der Beruf der ZFA ist durchaus vielseitig, mit vielen Weiterbildungsmöglichkeiten und Betätigungsfelder, die sich auf persönliche Stärken und Interessen abstimmen lassen. Woran liegt es also, dass Zahnarztpraxen dennoch unter einem so starken Fachkräftemangel leiden?
Die Befragung des Fachpersonals in Zahnarztpraxen liefert keine eindeutigen Antworten. Wer tiefer gräbt, stößt einerseits auf den demografischen Wandel als Erklärung, der jedoch alle Branchen und Berufe gleichermaßen betreffen sollte. Andererseits gibt es unattraktive Arbeitsbedingungen und gleichzeitig attraktive Alternativen – sowohl innerhalb als auch außerhalb der Dentalbranche. Heutzutage ist für viele junge Menschen ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Arbeit und Privatleben entscheidend (Stichwort: Work-Life-Balance). Dazu kommt der Wunsch nach Flexibilität, wie etwa die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten, manche achten auf zusätzliche Anreize, wie ein Fitnessstudio im Unternehmen oder Zusatzversicherungen.
Kurzfristige Strategie: Ressourcen bündeln und tauschen
Das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) empfiehlt, dem Arbeitskräftemangel branchenunabhängig mit unterschiedlichen Strategien zu begegnen. Kurzfristig helfen könnten dem Institut zufolge Kooperationen mit anderen Unternehmen, durch die sich Ressourcen bündeln und tauschen lassen. In Zahnmedizinischen Versorgungszentren (Z-MVZ) bzw. Dentalen Service-Organisationen (DSOs) werden solche Strategien bereits erfolgreich eingesetzt: Oftmals ist das Bestellmanagement zentral organisiert; Mitarbeiter können dank standardisierter Behandlungsabläufe flexibel in mehreren Praxen eingesetzt werden. Zwischen Einzelpraxen sind Kooperationen bislang nicht gängig, aber durchaus denkbar.
Langfristige Strategie: neues Wissen generieren
Längerfristig werden vorbeugende Maßnahmen empfohlen. Dazu gehört die Förderung der Weiterbildung von vorhandenem Personal, das im Anschluss zusätzliche, anspruchsvollere Aufgaben übernehmen könnte. Dieses Upskilling bzw. Reskilling wirkt sich häufig motivierend und leistungssteigernd auf einzelne Teammitglieder aus, geht aber mit einer kurzfristigen finanziellen Mehrbelastung sowie zusätzlichen Fehlzeiten des Personals einher. Eine ähnliche Strategie zielt auf die Neugewinnung junger, motivierter Fachkräfte ab: Durch Kooperationen mit Bildungseinrichtungen werden frühzeitig Kontakte mit jungen Talenten geknüpft, die eine praxisorientierte Ausbildung erhalten und schließlich als qualifizierte Fachkräfte im eigenen Unternehmen eingesetzt werden. Je größer die Praxis, desto eher scheint es möglich, zum Beispiel mit der weiterführenden Schule vor Ort zu kooperieren, den Beruf der ZFA im Rahmen einer Bildungsmesse vorzustellen und potenziellen Nachwuchs für diesen zu begeistern. Derzeit werden auch Schulungen für Quereinsteiger angeboten.
Unterstützung durch Digitalisierung und künstliche Intelligenz
Als letzte mögliche Strategie zur Vorbeugung und Lösung von Problemen, die durch den Fachkräftemangel entstehen, wird der Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) sowie die Nutzung der Automatisierung bzw. der Digitalisierung genannt. Die Automatisierung lässt sich vornehmlich in der Fertigung von Zahnersatz und damit – ausgenommen von Praxen mit Chairside-CAD/CAM-Systemen – im zahntechnischen Bereich sinnvoll einsetzen. Beste Voraussetzungen für reibungslose digitale Prozessketten lassen sich jedoch bereits in der Praxis durch den Einsatz von Intraoralscannern schaffen. Ein leistungsfähiges digitales Patientenmanagement- und Bestellsystem kann zudem der Zahnmedizinischen Verwaltungsassistenz Zeit und Arbeit abnehmen.
KI hat das Potenzial, mehrere Prozesse in der Zahnarztpraxis zu unterstützen. Zu nennen sind die Analyse von Röntgenaufnahmen ebenso wie Verwaltungsprozesse, beispielsweise das 24/7-Terminmanagement und die Abrechnung. Zu bedenken ist, dass dies zwar den Arbeitsaufwand reduzieren kann, der Mensch jedoch verantwortlich bleibt und somit eine Überprüfung der KI-generierten Inhalte erfolgen muss.
Bessere Rahmenbedingungen für ZFAs
Eigene Beobachtungen zeigen, dass es nicht allein durch Weiterbildung und die Unterstützung von KI gelingt, attraktivere Rahmenbedingungen für Zahnmedizinische Fachangestellte zu schaffen. Auch das Gehalt und die Flexibilität sollten dringend verbessert werden, um langfristig Personal an eine Praxis zu binden. Gleichzeitig muss auch die Strategie zur Personalsuche neu gedacht werden. Der klassische Weg über Stellenanzeigen, die lediglich Aufgaben und Anforderungen aufzählen, ist veraltet. Stattdessen sollten Zahnarztpraxen sich von ihrer besten Seite präsentieren und ihre Attraktivität als Arbeitsplatz hervorheben. Es geht darum, sich aktiv bei potenziellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu bewerben, anstatt einfach nur zu erwarten, dass sich diese von selbst melden. Dazu gehört auch, moderne Kanäle wie Social Media – etwa TikTok, Instagram und Co. – für die Personalsuche zu nutzen, denn hier bewegen sich viele junge Talente. Um das Problem des Fachkräftemangels nachhaltig anzugehen, ist es zudem notwendig, dass sich auch die Politik intensiver mit diesem Thema beschäftigt.
Patienten und Praxisteam profitieren
Ganz gleich, welche Maßnahmen ergriffen werden – eines ist sicher: Um dem Mangel an Zahnmedizinischen Fachangestellten entgegenzuwirken, ist ein Umdenken erforderlich, und das braucht zunächst einmal Zeit. Das kann sich jedoch auszahlen, da motiviertes und höher qualifiziertes Personal, dessen Arbeitsbelastung ein gesundes Maß nicht übersteigt, Aufgaben gewissenhafter und erfolgreicher ausführen kann. Dadurch sinkt das Risiko für Fehler, die Behandlungsqualität steigt, und sowohl Mitarbeiter als auch Patienten sind zufriedener.
Zufriedenes Personal bleibt in der Regel länger in der Praxis – und das hat spürbare Vorteile. Eine positive Stimmung im Team wird auch von den Patienten wahrgenommen. Das Vertrauensverhältnis zwischen Praxisteam und Patienten stabilisiert sich, und die Wahrscheinlichkeit, dass Zusatzleistungen in Anspruch genommen werden, steigt. Diese können jedoch nur angeboten werden, wenn die Öffnungszeiten stabil bleiben. Werden Praxiszeiten gekürzt, leidet darunter nicht nur die Praxis, sondern möglicherweise auch die Mundgesundheit der Patienten. Regelmäßige Zahnarztbesuche sind entscheidend, um Erkrankungen frühzeitig zu erkennen und größere Schäden zu verhindern. Wenn jedoch Untersuchungen hinausgeschoben oder Recall-Intervalle verlängert werden, könnten Erkrankungen unentdeckt bleiben und später hohe Kosten für die Versicherungen und somit auch für uns als Gesellschaft verursachen.
Fazit: So wichtig ist motiviertes und zufriedenes Personal in der Zahnarztpraxis
Von motiviertem und zufriedenen Personal in der Zahnarztpraxis profitiert letztlich die gesamte Gesellschaft. Zufriedene Patienten wiederum sorgen für wertvolles Empfehlungsmarketing, sei es durch persönliche Empfehlungen im Bekanntenkreis oder durch positive Google-Bewertungen
Foto: Privat
DH Birgit Schlee arbeitet seit über 30 Jahren mit viel Leidenschaft im Bereich Prophylaxe und Parodontologie. Neben ihrer Tätigkeit in der Praxis ist sie Ernährungsberaterin, Hypnoseassistentin, Laserschutz- und QM-Beauftragte. Sie gibt Seminare und hält Vorträge zu den Themen Prophylaxe, Parodontologie, Bio-Prophylaxe, Nachhaltigkeit, Geriatrie und mehr.
Fachkräftemangel in der Zahnmedizin – Zahlen & Fakten
Der Fachkräftemangel in der Zahnmedizin verschärft sich zunehmend. Laut Bundeszahnärztekammer ist die Zahl der Auszubildenden in den letzten zehn Jahren um rund 25 Prozent gesunken. Gleichzeitig verlassen etwa 50 Prozent der ausgebildeten Zahnmedizinischen Fachangestellten (ZFA) den Beruf innerhalb weniger Jahre. Prognosen zufolge könnten bis 2030 deutschlandweit bis zu 40.000 ZFA fehlen.
Besonders problematisch ist die Konkurrenz durch andere Gesundheitsberufe, die mit besseren Arbeitsbedingungen und flexibleren Arbeitszeiten um Fachkräfte werben. Gleichzeitig zeigt sich, dass nur rund 35 Prozent der ZFA mit ihrer Vergütung zufrieden sind, während über 80 Prozent flexible Arbeitszeiten als besonders wichtig erachten.
Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, setzen viele Zahnarztpraxen auf höhere Gehälter, attraktive Arbeitsbedingungen und gezielte Nachwuchsförderung. Dennoch bleibt die Herausforderung groß, qualifizierte Mitarbeiter zu finden und langfristig zu binden.