New Work: Vielfältige Arbeitsformen und Modelle für den Gesundheitssektor
Selbstbestimmt in einem Vertrauensverhältnis zum Vorgesetzten arbeiten ist und soll die neue Arbeitswelt vieler Mitarbeiter in der Wirtschaft sein. Im Gesundheitssektor finden sich klassische, hierarchische Managementansätze, die nicht mit der neuen Arbeitswelt kompatibel sind. Flexibilität, Individualität und Agilität unterstützt durch Digitalisierung sind entscheidend für die Umsetzbarkeit von New Work. Sie sind Grundlage einer neu gelebten Unternehmenskultur mit flachen Hierarchien und neuen Praxiskonzepten.
Was bedeutet New Work für den gelebten Alltag?
Bei näherer Betrachtung ist New Work realistischer umzusetzen als zunächst angenommen werden kann. New Work wird in vielen Gesundheitsunternehmen bereits in unterschiedlichen Ausprägungen gelebt. New Work bedeutet: Flexibilität, flache Hierarchien, Individualität, Digitalisierung, neue Praxiskonzepte und somit
Viele und insbesondere junge Arbeitnehmer aller Branchen suchen vermehrt nach Arbeitgebern, welche die Vorteile des Smart Working / New Work und weitere Vergünstigungen für die Work-Life-Balance bieten (Sánchez-Hernández et al., 2019).
Welche Vorteile hat New Work ?
Eine interessante Studie zu New Work ist die “Job Quality and Work-Life Balance of Teleworkers”. Untersucht wurde, wie sich verschiedene Arten der Telearbeit auf Parameter wie Arbeitsintensität, Arbeitszeit, Qualität, Qualifikation und Diskretion bei der Arbeit und Berufsaussichten auswirken (Rodríguez-Modroño & López-Igual, 2021). Es wurde eine Stichprobe mit 35.765 Befragten durchgeführt. Die Befragten sind aus 28 EU-Ländern und Großbritannien. Darin zeigte sich, dass Menschen, die von zu Hause aus arbeiten, im Vergleich zu anderen eine geringere Arbeitsbelastung haben, gerade (35,7) vom Index. Sie haben aber die höchsten Wert (74,1) im Index bei Freiräumen und Fähigkeiten (Rodríguez-Modroño & López-Igual, 2021).Weiter zeigt sich, dass Homeoffice-Telearbeiter, insbesondere Frauen, in Bezug auf Arbeitsqualität und Intensität bei der Arbeit besser abschneiden als die hoch mobilen Arbeitnehmer, die viel Zeit mit Reisen verbringen (Rodríguez-Modroño & López-Igual, 2021).
Umsetzung von New Work im Gesundheitswesen
Nicht nur die Industrie, sondern auch die Gesundheitsbranche steht vor diesen Herausforderungen. Aber wie kann die Umsetzung hier aussehen? New Work lässt sich nicht wie eine Schablone über ein Unternehmen legen, vielmehr muss jedes Unternehmen und jedes Team seinen eigenen Weg finden. Die nachfolgenden Ansätze können dabei helfen, erste Schritte zu gehen.
Umsetzung von New Work im Alltag
Die Telemedizin bietet viele Möglichkeiten, die Behandlung zu flexibilisieren, sowohl für Patienten als auch das Personal. Für den Besuch der Sprechstunde muss nicht mehr die Praxis aufgesucht werden. Die Telemedizin bietet zahlreiche Möglichkeiten der asynchronen Fernbehandlung wie der Überwachung von digital übermittelten Vitalparameter. Teilweise lässt sich das auch automatisieren, sodass das Personal nur noch bei auffälligen Befunden tätig werden muss. Die Automatisierung administrativer Tätigkeiten (z.B. Abrechnung, Dokumentation) schafft Freiräume für die Arbeit am Patienten.
Auch das administrative Personal könnte viel flexibler eingesetzt werden. Mit einer entsprechenden Anbindung können viele Tätigkeiten wie die Terminvergabe (wenn nicht automatisiert) oder die Kommunikation mit Patienten von zu Hause aus erledigt werden.
In einer Querschnittstudie aus Portugal wurde die Zufriedenheit bei Telearbeit untersucht (Sousa-Uva et al., 2021). Insgesamt wurden 1004 Teilnehmer in einer Online Umfrage auf ihre Zufriedenheit mit der Telearbeit untersucht. Die Auswertung zeigte, dass 69 % der Befragten zufrieden mit der neuen Arbeitsform sind.
Als positive Effekte der Telearbeit konnten eine bessere Konzentration bei der Arbeit, eine bessere Work-Life-Balance sowie eine höhere Arbeitsflexibilität nachgewiesen werden. Wichtiger Erfolgsfaktor für das Gelingen war das Vertrauen des Unternehmens in Telearbeiter und das Wohlbefinden am Arbeitsplatz zu Hause (Sousa-Uva et al., 2021).
New Work kann auch die Art und Weise des Projektmanagements verändern. Während im klassischen Projektmanagement beispielsweise Projektziele, Zeit und Budget vorgegeben und von einem Projektleiter kontrolliert wurden, bietet das agile Projektmanagement einige Vorteile. Nach dem Vorbild der Methode SCRUM, die ursprünglich in der IT-Entwicklung eingesetzt wurde und sich heute auch darüber hinaus immer größerer Beliebtheit erfreut, werden heute viele Projekte agil gesteuert. Auf das MVZ übertragen, könnte dies wie folgt aussehen.
Ein Scrum Master bringt die Methodenkompetenz für das Projekt mit und moderiert das Projektteam bei der Bearbeitung des Projekts. Einen traditionellen Projektleiter gibt es hier nicht, das Projektteam arbeitet weitestgehend eigenständig und führt sich selbst. Der Product Owner ist der Auftraggeber des Projekts und hat ein Interesse am erfolgreichen Ergebnis. Das Team arbeitet in Sprints, bei denen jeweils ein Arbeitspaket in kurzer Zeit intensiv bearbeitet wird.
Möglichkeiten und Tipps von New Work in der Praxis
Aus wissenschaftlichen Studien lassen sich drei grundlegende Erkenntnisse ableiten. Um New Work zu ermöglichen, muss die Bereitschaft zur Veränderung bei der Führung bestehen. Gerade beim Umsetzen von agilem Arbeiten und den dazugehörigen Methoden sind das entsprechende Mindset und die Haltung essentiell.
Der Führungsstil im Gesundheitssektor muss demokratischer werden. Ein Praxismanager und ärztliche Kollegen im Angestelltenverhältnis sind bei der Aufgaben und Verantwortungsverteilung hilfreich.
In der Praxis / dem MVZ bedeutet dies z.B. Fachbereiche oder Themen zu verteilen.
Benennen eines Qualitätsmanagers oder einen Dienstplanverantwortlichen
Flexibilität am Arbeitsplatz wird durch verschiedene Arbeitszeitmodelle und Arbeitsformen geschaffen.
Termine können Online vereinbart werden.
Sprechstunden können über Telemedizin erfolgen.
Ärztliche Kollegen im Angestelltenverhältnis arbeiten zu unterschiedlichen Zeiten um eine durchgängige Versorgung zu ermöglichen oder besondere Zeiten anbieten zu können (Merkmal für den Markt)
Projektgruppen für mögliche Zertifizierungen können hybrid zusammenarbeiten (Möglichkeit sich online zu Treffen einwählen zu können). Mitarbeiter in Teilzeit oder Heimarbeit können somit ihre Stärken im Team einbringen. Dies erhöht die Mitarbeiterbindung.
Digitalisierung von Arbeitsplätzen, Prozessen sowie eine solide IT-Sicherheit sind eine wichtige Voraussetzung für neues Arbeiten.
Neue digitale Methoden der Arbeitszeitdokumentation z.B. per App. Die Daten werden für den Mitarbeiter transparent und er kann in den HR-Prozess aktiv mit eingebunden werden.
Eigenverantwortung und Individualität können durch Homeoffice oder Hybride Arbeitsplätze ermöglicht werden.
Probleme bei New Work
Die Flexibilität und Individualität die mit New Work eingeführt werden können von den Mitarbeitern ausgenutzt werden. Mitarbeiter können auch überfordert werden, wenn sie mit der Digitalisierung nicht klar kommen. Die Selbstverantwortung ist nicht von jedem Mitarbeiter gewünscht. Aus diesem Grund sollten zu Beginn von New Work in kurzen Intervallen Team-Meetings erfolgen und evtl. individuelle Mitarbeitergespräche angeboten werden.
Veränderungen der Führungskulturen benötigen Zeit und können nicht kurzfristig erfolgen.
Fußnoten:
- (1)
Burkhart, S., & Grabmeier, S. (2017). Der Einfluss von Digital Leadership auf Organisationen im Gesundheitswesen. Die Digitale Transformation im Gesundheitswesen Berlin, 255-261.
- (2)
Rodríguez-Modroño, P., & López-Igual, P. (2021). Job Quality and Work-Life Balance of Teleworkers. Int J Environ Res Public Health, 18(6). https://doi.org/10.3390/ijerph18063239
- (3)
Sánchez-Hernández, M. I., González-López Ó, R., Buenadicha-Mateos, M., & Tato-Jiménez, J. L. (2019). Work-Life Balance in Great Companies and Pending Issues for Engaging New Generations at Work. Int J Environ Res Public Health, 16(24). https://doi.org/10.3390/ijerph16245122
- (4)
Sousa-Uva, M., Sousa-Uva, A., MM, E. S., & Serranheira, F. (2021). Telework during the COVID-19 epidemic in Portugal and determinants of job satisfaction: a cross-sectional study. BMC Public Health, 21(1),2217. https://doi.org/10.1186/s12889-021-12295-2
Die Autoren
Prof. Dr. Felix Hoffmann befasst sich mit Versorgungsstrukturen im Gesundheitswesen, insbesondere digitalen Prozessen und Kollaborationsstrukturen. Von Haus aus ist er Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, CEO der WEIDENSTEIN GmbH und Professor für Digital Health an der APOLLON Hochschule. Ehrenamtlich ist er Vorsitzender des Netzwerks Purpose:Health e.V.
Antonina Jakob, Gesundheitsökonomien M.A., OP-Gesamtleitung Innenstadt und Assistenz der Pflegebereichsleitung der Ludwig-Maximilians- Universität in München