Zahnärztliche Versorgung raus aus der GKV: „angemessen“ oder „unsozial“?
Judith MeisterDie Gesundheitsausgaben steigen. Doch sind Leistungskürzungen bei den Kassen daher „alternativlos“? Das
Die Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen müssen „ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein. Sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. So steht es in §12 des 5. Sozialgesetzbuchs.
Vor diesem Hintergrund – und angesichts der Milliardendefizite der GKV – lässt es sich durchaus hören, wenn Krankenkassenchef Ralf Hermes dafür plädiert, homöopathische Leistungen vollständig aus dem Leistungskatalog zu streichen. Denn wissenschaftlich lässt sich die Wirkung von Homöopathie nicht nachweisen.
Das Sparpotenzial dieser Maßnahme wäre jedoch vergleichsweise gering. Deshalb geht Hermes noch einen Schritt weiter – und stellt in einer kühnen Forderung die Zahnmedizin und die Homöopathie auf eine Stufe. Seiner Meinung nach nämlich sollten auch zahnärztliche Behandlungen und Zahnersatz keine Kassenleistung mehr sein. „Der Lage angemessen wäre es, die komplette zahnärztliche Versorgung aus dem Leistungskatalog zu streichen“, so der Funktionär.
Verhindert gute Mundhygiene wirklich alle zahnmedizinischen Probleme?
Allein für zahnärztliche Behandlungen zahlten die gesetzlichen Kassen 2022 knapp 13 Milliarden Euro aus. Hermes hält das nicht für notwendig: „Wer sich im Wesentlichen zweimal am Tag ordentlich die Zähne putzt, bekommt fast keine Probleme“, ließ er im Juni gegenüber dem Handelsblatt verlauten.
Ebenfalls sparen können man sich die Zuschüsse im Bereich des Zahnersatzes. Hierfür geben die Kassen pro Jahr etwa vier Milliarden Euro aus. Das Argument: Versicherten bliebe ja nach wie vor die Möglichkeit, sich privat abzusichern. Allenfalls bei unverschuldeten Unfällen oder schweren Erkrankungen kann sich der Kassenchef Ausnahmen vorstellen, bei denen die GKV die Kosten für zahnärztliche Behandlungen trägt.
Die Kritik aus der Zahnärzteschaft ließ nicht lange auf sich warten.
„Unsozial und kenntnislos“
Die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) erteilt dieser, „im Grunde völlig unsozialen und gegen jede wissenschaftliche Erkenntnis formulierten Forderung“, eine klare Absage. Der KZBV-Vorstandsvorsitzende, Martin Hendges, machte dabei keinen Hehl aus seinem Unmut über den Vorstoß des Innovationskassen-Chefs. Es sei unverantwortlich, den Wert einer hochwertigen, evidenzbasierten und auf dem neuesten wissenschaftlichen Stand befindliche Zahnmedizin derartig zu bagatellisieren.
Als Beispiel nannte Hendges die mit breiter Unterstützung aller relevanten Entscheidungsträger im Gesundheitswesen – und insbesondere der Krankenkassen – erst vor zwei Jahren eingeführte präventionsorientierte Parodontitistherapie. Diese basiere nämlich auf der Erkenntnis, dass die Parodontitis nicht nur die häufigste Ursache für Zahnverlust bei Erwachsenen ist, sondern vielmehr im direkten Zusammenhang mit schwerwiegenden chronischen Erkrankungen wie zum Beispiel Diabetes mellitus oder rheumatoider Arthritis stehe. Mundgesundheit und regelmäßige zahnärztliche Vorsorge lassen sich nicht auf den vermeintlich griffigen Slogan „zweimal täglich Zähne putzen reicht“ reduzieren.
„Die Leidtragenden solcher verantwortungslosen Vorschläge wären einmal mehr die Patientinnen und Patienten sowie in besonderem Maße die sozial Schwächeren“, so Hendges.