Arbeiten trotz Krankschreibung: Was erlaubt ist – und was nicht
Judith Meister und Marzena SickingArbeiten trotz Krankschreibung ist ein Thema, das immer wieder für Unsicherheit sorgt. Darf man arbeiten, wenn man krankgeschrieben ist? Und was passiert, wenn der Arbeitgeber davon erfährt? Dieser Artikel beleuchtet die rechtlichen Rahmenbedingungen und klärt auf, welche Handlungen zulässig sind und welche nicht.
Es mag Arbeitnehmer geben, die bleiben schon aufgrund eines Schnupfens zu Hause. Es gibt aber auch sehr viele Angestellte, die sich sogar mit Krankschreibung vom Arzt noch ins Büro schleppen. Das geht jedenfalls aus dem Fehlzeiten-Report 2021 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK hervor. Darin gaben immerhin 13,2 Prozent der Befragten an, schon mal krank zur Arbeit gegangen zu sein, obwohl der Arzt ihnen davon abgeraten hatte. Doch auch wenn ein solches Pflichtbewusstsein grundsätzlich für eine gute Arbeitsmoral des Kollegen – es birgt auch Risiken für Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
Bedeutet Krankschreibung totale Arbeitsunfähigkeit?
Eine Krankschreibung bedeutet, dass ein Arzt dem Arbeitnehmer eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit bescheinigt hat. Dies dient in erster Linie dem Schutz der Gesundheit des Arbeitnehmers und der Genesung. Dennoch gibt es Situationen, in denen Arbeiten trotz Krankschreibung erlaubt sein kann.
Dürfen Arbeitnehmer arbeiten, obwohl sie krankgeschrieben sind?
Grundsätzlich ist die rechtliche Lage so, dass Arbeitnehmer auch mit einer ärztlichen Krankschreibung zur Arbeit antreten dürfen. Denn anders als vielfach angenommen ist diese Krankschreibung kein Arbeitsverbot, sondern nur eine ärztliche Bestätigung bzw. eine Empfehlung. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) stellt lediglich fest, dass der ausstellende Mediziner den betroffenen Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Untersuchung nicht für arbeitsfähig hält. Diese ärztliche Bescheinigung dient zudem als Prognose, wie lange der Krankheitszustand voraussichtlich andauern wird.
Unter welchen Voraussetzungen darf man trotz Krankschreibung wieder arbeiten gehen?
Wenn die ausgeführte Tätigkeit der Gesundheit nicht schadet oder sogar förderlich ist. Beispielsweise könnte ein Bürojob weniger belastend sein als eine körperliche Tätigkeit, selbst wenn der Arbeitnehmer krankgeschrieben ist.
Der Arbeitgeber muss darüber informiert sein und der Arbeitsaufnahme zustimmen. Ohne seine Einwilligung könnte dies als Vertragsverletzung angesehen werden.
Selbständigkeit: Arbeiten trotz Krankschreibung erlaubt?
Selbständige haben die Freiheit, trotz Krankschreibung weiterzuarbeiten, da sie ihre Arbeitsfähigkeit in ersten Linlie selbst einschätzen müssen.
Darf ich einem Nebenjob nachgehen, wenn ich krankgeschrieben bin?
Das hängt von der Art der Erkrankung und der Tätigkeit ab. Der Hauptarbeitgeber muss auf jeden Fall informiert und einverstanden sein.
Welche Fürsorgepflicht hat der Arbeitgeber im Krankheitsfall?
Wenn ein Arbeitnehmer allerdings noch stark niesend und hustend im Betrieb auftaucht, ist damit niemandem gedient. Der Arbeitgeber muss direkt reagieren, insbesondere, wenn es sich um eine ansteckende Krankheit handelt. Das liegt zum einen an der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Sie besteht nicht nur gegenüber kranken Mitarbeitern, sondern auch gegenüber deren Kollegen, die sich am Arbeitsplatz anstecken könnten. Ist nicht ausgeschlossen, dass ein arbeitswilliger Mitarbeiter noch unter seiner Erkrankung leidet oder infektiös ist, muss ihn - mit oder ohne AU - der Chef nach Hause schicken. Gleiches gilt, wenn es sich um eine anstrengende Arbeit handelt und der Arbeitnehmer durch einen verfrühten Einsatz sogar andere Kollegen gefährden könnte.
Ist man versichert, wenn man krankgeschrieben zur Arbeit geht?
Der Mythos, dass Beschäftigte den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung verlieren, wenn sie trotz Krankschreibung im Unternehmen erscheinen gehen, hält sich hartnäckig. Er gehört aber ins Reich der Rechtsirrtümer, denn der Versicherungsschutz ist nicht gefährdet.
Was passiert, wenn der Arbeitnehmer während der Krankschreibung arbeitet und einen Unfall hat?
Der Versicherungsschutz bleibt bestehen, wenn ein Arbeitnehmer trotz Krankschreibung arbeitet und dabei einen Unfall erleidet. Dies gilt sowohl für Unfälle am Arbeitsplatz als auch für Wegeunfälle. Die gesetzliche Unfallversicherung greift auch in diesen Fällen, sofern der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mitgeteilt hat.
Wie verhält es sich mit dem Versicherungsschutz bei speziellen Tätigkeiten wie dem Bedienen von Maschinen oder dem Fahren von Fahrzeugen?
Wenn ein Arbeitnehmer trotz Krankschreibung spezielle Tätigkeiten wie das Bedienen von Maschinen oder das Fahren von Fahrzeugen ausführt, besteht weiterhin Versicherungsschutz. Allerdings muss der Arbeitgeber sicherstellen, dass der Arbeitnehmer in der Lage ist, diese Tätigkeiten sicher auszuführen, um Unfälle zu vermeiden. Bei Zweifeln kann der Arbeitgeber eine ärztliche Untersuchung verlangen.
Müssen sich Arbeitnehmer gesund schreiben lassen?
Arbeitnehmer müssten sich nicht „gesundschreiben“ lassen, wenn sie vor dem auf der AU genannten Enddatum wieder im Büro erscheinen wollen. „Aus rechtlicher Sicht ist es nicht erforderlich, die eigene Genesung per Attest bestätigen zu lassen“, sagt Randhir K. Dindoyal, Rechtsanwalt in München. Um keine Gesundheitsrisiken einzugehen, kann es aber im eigenen Interesse liegen, vor der Rückkehr in die Praxis nochmal zum Arzt zu gehen und sich den Ablauf der Arbeitsunfähigkeit nochmal bestätigen zu lassen.
Kann ein Arbeitgeber eine Gesundschreibung verlangen?
Nein, eine Gesundschreibung gibt es im deutschen Gesundheitssystem nicht. Der Arbeitgeber kann jedoch eine ärztliche Untersuchung verlangen, um sicherzustellen, dass der Arbeitnehmer wirklich wieder arbeitsfähig ist.
Wie sollte der Arbeitnehmer vorgehen, wenn er während der Krankschreibung stundenweise arbeiten möchte?
Wenn ein Arbeitnehmer während der Krankschreibung nur teilweise arbeiten möchte, sollte er dies mit seinem Arbeitgeber absprechen. Es kann sinnvoll sein, flexible Arbeitszeiten oder eine stufenweise Wiedereingliederung zu vereinbaren. Der Arbeitgeber muss sicherstellen, dass die Arbeitsbelastung angemessen ist und die Genesung des Arbeitnehmers nicht gefährdet wird. Dies kann auch bedeuten, dass der Arbeitnehmer zunächst nur leichte Tätigkeiten übernimmt oder von zu Hause aus arbeitet.
Wann kann es Probleme geben, wenn man trotz Krankschreibung arbeiten geht?
Das Arbeiten trotz Krankschreibung ist in Deutschland rechtlich nicht ausdrücklich verboten, kann jedoch Konsequenzen nach sich ziehen, wenn die Bedingungen nicht erfüllt sind:
Bei einem Unfall während der Arbeit trotz Krankschreibung kann der Versicherungsschutz beeinträchtigt sein. Es ist wichtig, dass der Arbeitgeber und die Krankenkasse informiert sind.
Wenn der Arbeitgeber nicht einverstanden war oder die Arbeit die Genesung gefährdet, könnte dies zu arbeitsrechtlichen Maßnahmen, einschließlich einer Kündigung, führen. Besondere Vorsicht ist hier insbesondere bei psychischen Erkrankungen geboten. Hier sollte die Wiederaufnahme der Arbeit trotz Krankschreibung nur in Absprache mit einem Facharzt erfolgen.
Bestimmte Branchen wie das Gesundheitswesen oder der Transportsektor haben striktere Regelungen und Sicherheitsvorschriften, die bei einer Krankschreibung besonders zu beachten sind. Deshalb sollte man die Arbeit während der AU nicht ohne Absprache wieder aufnehmen.
Wie lange bekommt man trotz Krankschreibung noch ein volles Gehalt?
Nach Paragraf 3 des Entgeltfortzahlungsgesetz müssen Arbeitgeber ihren Mitarbeitern bis zu sechs Wochen lang das volle Gehalt bezahlen, wenn diese wegen einer Krankheit nicht arbeiten können.
Was darf man keinesfalls tun, wenn man krankgeschrieben ist?
Die Krankschreibung geht mit der Pflicht einher, alles zu vermeiden, was die eigene Genesung gefährden oder verzögern kann. Vielmehr soll der Arbeitnehmer alles tun, um sich von der Krankheit zu kurieren. Krankgeschriebene Arbeitnehmer müssen aber weder dauerhaft das Bett hüten noch ist es ihnen vorgeschrieben, zu Hause zu bleiben. Sie dürfen beispielsweise trotz Arbeitsunfähigkeit Dinge für den täglichen Bedarf einkaufen gehen. Auch ein Spaziergang an der frischen Luft ist erlaubt. Welches Verhalten bei der jeweiligen Erkrankung erlaubt und angemessen ist, sollte man mit seinem Arzt besprechen.
Kündigung wegen unerlaubter Arbeit in der Krankschreibung
Wer sich allerdings genesungswidrig verhält, etwa, weil er trotz AU schwere körperliche Arbeiten verrichtet oder gar einem bezahlten Nebenjob nachgeht, riskiert seinen Job. So billigte zum Beispiel das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz die außerordentliche Kündigung eines Arbeitnehmers wegen genesungswidrigen Verhaltens. Der Mann, der wegen des Verdachts auf koronare Herzerkrankung krankgeschrieben war, hatte sich dabei erwischen lassen, wie er in dieser Zeit das Haus seiner Tochter renovierte (Az. 10 Sa 100/13).
Kann der Arbeitgeber das Arbeiten auch ohne Krankschreibung verbieten?
Ja, der Arbeitgeber kann das Arbeiten verbieten, auch wenn keine Krankschreibung vorliegt. Arbeitgeber haben eine Fürsorgepflicht gegenüber allen Mitarbeitern und müssen sicherstellen, dass der Arbeitnehmer weder sich selbst noch andere gefährdet. Daher kann der Arbeitgeber entscheiden, ob ein Mitarbeiter arbeiten darf oder nicht. Wenn Zweifel an der Arbeitsfähigkeit bestehen, kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nach Hause schicken oder eine Untersuchung durch den Betriebsarzt verlangen.
Rechtliche Beratung
Wer nicht sicher ist, was er in seiner individuellen Situation tatsächlich tun darf und was nicht, kann sich nicht nur an seinen Arzt wenden, sondern auch rechtliche Beratung in Anspruch nehmen. Gewerkschaften und Betriebsräte können hierbei wertvolle Unterstützung bieten.
Kann man sich auch teilweise krankschreiben lassen?
Ja, in Deutschland ist es möglich, sich teilweise krankschreiben zu lassen. Dies wird häufig als „Stufenweise Wiedereingliederung“ bezeichnet und ist eine Maßnahme, die es Arbeitnehmern ermöglicht, nach einer längeren Krankheit schrittweise wieder in das Arbeitsleben zurückzukehren. Hier sind einige wichtige Punkte dazu:
Definition und Zweck der Stufenweisen Wiedereingliederung
Die stufenweise Wiedereingliederung, auch „Hamburger Modell“ genannt, dient dazu, Arbeitnehmer nach einer längeren Krankheit langsam und unter ärztlicher Aufsicht wieder an die volle Arbeitsbelastung heranzuführen. Dies geschieht durch eine schrittweise Steigerung der Arbeitszeit und Arbeitsintensität.
Rechtliche Grundlagen der stufenweisen Wiedereingliederung
Die stufenweise Wiedereingliederung ist im Sozialgesetzbuch (§ 74 SGB V) geregelt. Arbeitnehmer haben einen gesetzlichen Anspruch auf eine solche Maßnahme, wenn diese medizinisch notwendig ist und der behandelnde Arzt sowie der Arbeitgeber zustimmen.
Ablauf der Wiedereingliederung
Ärztliche Empfehlung: Der behandelnde Arzt erstellt einen Wiedereingliederungsplan, der die schrittweise Steigerung der Arbeitszeit und -belastung festlegt.
Genehmigung durch Arbeitgeber: Der Arbeitgeber muss dem Wiedereingliederungsplan zustimmen.
Durchführung: Der Arbeitnehmer beginnt mit wenigen Stunden pro Tag und steigert die Arbeitszeit und -belastung gemäß dem Plan.
Kontrolle und Anpassung: Der Fortschritt wird regelmäßig überprüft und der Plan bei Bedarf angepasst.
Vorteile der Wiedereingliederung
Schonende Rückkehr: Der Arbeitnehmer kann sich langsam wieder an die Arbeitsanforderungen gewöhnen.
Reduziertes Rückfallrisiko: Durch die langsame Steigerung wird das Risiko eines gesundheitlichen Rückfalls minimiert.
Unterstützung durch den Arbeitgeber: Der Arbeitgeber zeigt Unterstützung und Verständnis für die Gesundheit seiner Mitarbeiter, was das Arbeitsklima verbessern kann.
Versicherungsschutz während der der Wiedereingliederung
Während der stufenweisen Wiedereingliederung bleibt der Versicherungsschutz des Arbeitnehmers bestehen. Dies gilt sowohl für die Krankenversicherung als auch für die Unfallversicherung, da der Arbeitnehmer weiterhin als arbeitsunfähig gilt, aber therapeutisch arbeitet.
Welche Rolle spielt das „Hamburger Modell“ bei der Wiedereingliederung?
Es unterstützt Arbeitnehmer beim schrittweisen Wiedereinstieg in den Arbeitsalltag und wird von der Krankenkasse gefördert.