Honorierung zahnärztlicher Leistungen in Deutschland: das Finanzierungssystem
Dr. jur. Alex JanzenDie Honorierung zahnärztlicher Leistungen weist im Vergleich zur Vergütung von ärztlichen Leistungen sowohl Parallelen als auch bedeutende, zum Teil sogar gravierende, Unterschiede auf. Rechtsanwalt Dr. Alex Janzen erklärt die wichtigsten Punkte.
Dieser Beitrag wird seinen Fokus auf Besonderheiten richten, welche bei der Honorierung von zahnärztlichen Leistungen bestehen. Auf die Gemeinsamkeiten mit der Vergütung von ärztlichen Leistungen wird nur soweit unbedingt erforderlich und auch dann nur am Rande eingegangen.
I. Normative Gemengelage bei der Honorierung zahnärztlicher Leistungen
Die geltende Rechtslage auf dem Gebiet der Honorierung zahnärztlicher Leistungen umfasst – um nur die zentralen Regelungsbereiche zu nennen – folgende Bereiche:
- das Finanzierungs- und Vergütungsrecht nach dem Sozialgesetzbuch V (SGB V)
- den Einheitlichen Bewertungsmaßstab für die zahnärztlichen Leistungen (BEMA) zwischen der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen
- die Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) für die privatrechtliche Abrechnung von Zahnärzten
- Verordnungen des Bundesministeriums für Gesundheit, die gesetzliche Bestimmungen des SGB V näher ausgestalten
- Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung
- Richtlinien des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen
- Satzungen der Kassenzahnärztlichen Vereinigungen und der gesetzlichen sowie privaten Krankenkassen
- Honorarverteilungsmaßstäbe der Kassenzahnärztlichen Vereinigungen, die in der Regel ebenfalls als Satzung beschlossen werden
- sowie schließlich Urteile und Beschlüsse des Bundessozialgerichts (BSG), welche zwar keine normativen Regelungen im Rechtssinn enthalten, jedoch im Ergebnis die Auslegung und Anwendung von normativen Bestimmungen vorgeben.
1. Zahnprothetische Regelversorgung
Bereits die höchste Normebene – das sind Regelungen des SGB V zum Finanzierungs- und Vergütungsrecht von vertragszahnärztlichen Leistungen – enthalten Bestimmungen, deren Verhältnis zueinander unklar bzw. umstritten ist.
a. Vergütungsvereinbarungen bei der zahnprothetischen Regelversorgung
Nach § 57 Abs. 1 Satz 1 SGB V – um hier nur ein wichtiges Beispiel zu nennen – vereinbaren der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung bis zum 30. September eines Jahres die Höhe der Vergütungen für die vertragszahnärztlichen Leistungen bei der zahnprothetischer Regelversorgung für das nächste Jahr.
Gemäß § 57 Abs. 1 Satz 2 SGB V bestimmt das Gesetz, dass bei dieser Vereinbarung der Vergütung die Regelungen des § 71 Abs. 1 bis 3 SGB V und des § 85 Abs. 3 SGB V gelten.
Was das Gesetz hier außer Acht lässt: nach § 71 Abs. 1 Satz 1 SGB V gilt für Vergütungsvereinbarungen zwischen Krankenkassen und Vereinigungen der Kassenzahnärzte der Grundsatz der Beitragssatzstabilität, d. h. Vereinbarungen über die Vergütungen von zahnärztlichen Leistungen sind so zu gestalten, dass Beitragserhöhungen grundsätzlich ausgeschlossen werden.
Nach § 85 Abs. 3 SGB V gilt hingegen der Grundsatz der Beitragssatzstabilität zwar auch, je-doch explizit nur als ein Faktor unter vielen, nicht als die zentrale Maxime im Finanzierungs- und Vergütungsrecht gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Mehr noch: die Regelung über Vereinbarungen bei der zahnprothetischer Regelversorgung nach § 57 Abs. 1 Satz 5 SGB V ist chronologisch älter als die neue hier dargestellte Fassung des § 85 Abs. 3 SGB V. In der Altfassung des § 85 Abs. 3 SGB V war der Grundsatz der Beitragssatzstabilität ebenfalls als oberste Maxime zwingend zu beachten.
b. Gesetzliche Diskrepanzen bei der Regelung der zahnprothetischen Regelversorgung
Was gilt nun bei den Vereinbarungen von Vergütungen für die zahnärztlichen Leistungen bei der zahnprothetischen Regelversorgung?
Gilt der Grundsatz der Beitragssatzstabilität nach dem Gesetz zwingend als die zentrale Maxime oder nur als ein Faktor unter vielen?
Beide Ansichten sind hier vertretbar und werden in der Praxis auch vertreten: ein Zustand, der für die Rechtssicherheit bei der Finanzierung und Honorierung zahnärztlicher Leistungen alles andere als förderlich ist. Weitere Beispiele von Regelungen, die aufeinander nicht abgestimmt sind, ließen sich über viele Seiten fortsetzen.
Für Nichtjuristen mag die obige Darstellung von Diskrepanzen im Gesetz als akademisch oder praxisfern erscheinen. Für einen Fachmann bzw. eine Fachfrau liegt die Praxisrelevanz dieser Diskrepanzen auf der Hand: Es macht einen zentralen Unterschied, ob die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung bei der jährlichen Verhandlung der Vergütung für die zahnprothetische Regelversorgung mit dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen eine Änderung der Vergütung durchsetzen kann, weil sich die Rahmenbedingungen der zahnärztlichen Tätigkeit geändert haben oder sich damit abfinden muss, dass die Vergütung nicht erhöht werden darf, weil die Erhöhung den höherrangigen Grundsatz der Beitragssatzstabilität verletzten würde.
2. Abrechnung der Kosten für Zahnersatz
Nach § 55 Abs. 1 Satz 1, 2 SGB V haben gesetzlich Versicherte bei der medizinisch notwendigen Versorgung mit Zahnersatz einen Anspruch auf befundbezogene Festzuschüsse in Höhe von 60 % der festgesetzten Beträge für die jeweilige Regelversorgung. Unter bestimmten Voraussetzungen, insbesondere bei Eigenbemühungen der Versicherten für die Gesunderhaltung ihrer Zähne, erhöhen sich die Festzuschüsse bis zu 70–75 %. In Härtefällen kann die Erstattung für den Zahnersatz 100 % der jeweiligen Regelversorgung bis zur Höhe der tatsächlich anfallenden Kosten betragen.
Die Kosten für den Zahnersatz im Rahmen der Regelversorgung inklusive Zahnkronen sind nach BEMA abzurechnen. Soweit gesetzlich Versicherte einen Zahnersatz wählen, welcher über die Regelversorgung hinausgeht – unabhängig davon, ob der gewählte Zahnersatz mit der Regelversorgung gleichartig oder andersartig ist – kommt bei der Abrechnung statt BEMA die GOZ zur Anwendung.
II. Vertragszahnärztliche Gesamtvergütung außerhalb der zahnprothetischen Regelversorgung
Nach § 85 Abs. 3 Satz 1 SGB V vereinbaren die Vertragsparteien eines Gesamtvertrages die Veränderungen der Gesamtvergütungen in der vertragszahnärztlichen und kieferorthopädischen Versorgung außerhalb der zahnprothetischen Regelversorgung. Die Veränderung der Gesamtvergütungen berücksichtigt gemäß § 85 Abs. 3 Satz 1 SGB V eine Reihe von Faktoren, welche sich auf die Höhe der betreffenden Veränderung auswirken. Diese Faktoren sind die Zahl und die Struktur der Versicherten, die Morbiditätsentwicklung, die Kosten- und Versorgungsstruktur, die für die vertragszahnärztliche Tätigkeit aufzuwendende Arbeitszeit sowie Art und Um-fang der zahnärztlichen Leistungen, soweit sie auf einer Veränderung des gesetzlichen oder satzungsmäßigen Leistungsumfangs beruhen.
1. Zahl und Struktur der Versicherten
Mit der Zahl der Versicherten berücksichtigt das Gesetz der Änderung von Versicherungszahlen durch Zu- und Abwanderung von Versicherten, wobei darunter nicht nur Pflichtversicherte und freiwillig gesetzlich Versicherte, sondern auch Familienversicherte zu verstehen sind. Unter der Struktur der Versicherten wird insbesondere die Altersstruktur der gesetzlich Versicherten er-fasst, da empirische Befunde dafürsprechen, dass Versicherte je nach ihrem Lebensalter zahnärztliche Leistungen im unterschiedlichen Umfang in Anspruch nehmen.
2. Morbiditätsentwicklung
Der zunehmende Anstieg des durchschnittlichen Lebensalters von Versicherten und die damit verbundene Zunahme von Patienten- und Fallzahlen einerseits sowie Änderungen in einzelnen Bereichen der zahnärztlichen Versorgung andererseits machten es erforderlich, die Morbiditätsentwicklung als einen Faktor bei den Veränderungen der Gesamtvergütungen in der vertragszahnärztlichen Versorgung ebenfalls zu berücksichtigen.
3. Kosten- und Versorgungsstruktur
Die Berücksichtigung der Kosten- und Versorgungsstruktur ersetzt das in der Altfassung des § 85 Abs. 3 Satz 1 SGB V noch enthaltene Kriterium der Praxiskosten. Der Begriff der Kosten- und Versorgungsstruktur ist deutlich breiter als die schlichte Berücksichtigung der Praxiskosten und soll Veränderungen in der Kostenstruktur von Zahnarztpraxen – insbesondere die Steigerung der Löhne und Mieten – und in der Praxis- und Angebotsstruktur (hier vor allem weitere Verbreitung von Gemeinschaftspraxen und von spezialisierten Leistungen der Zahnärzte) bei der Veränderung der Gesamtvergütungen besser berücksichtigen.
4. Für die vertragszahnärztliche Tätigkeit aufzuwendende Arbeitszeit
Unter der Arbeitszeit im Sinne des § 85 Abs. 3 Satz 1 SGB V ist die Gesamtarbeitszeit von Zahnärzten inklusive Fortbildung, Verwaltungstätigkeit, Dokumentation etc. zu verstehen.
5. Art und Umfang der zahnärztlichen Leistungen
Die Berücksichtigung von zahnärztlichen Leistungen nach Art und Umfang soll dem Umstand Rechnung tragen, dass zu vergütende Leistungen von Vertragszahnärzten nach dem BEMA-Katalog hinzukommen oder wegfallen können. Bei Hinzukommen neuer Leistungen kann sich die Vergütung für vertragszahnärztliche Leistungen erhöhen und bei einem Wegfall mindern.
6. Grundsatz der Beitragssatzstabilität
Die zentrale Aussage bei der Neufassung des § 85 Abs. 3 SGB V, der die Gesamtvergütung für vertragszahnärztliche Leistungen regelt, ist die Bestimmung im § 85 Abs. 3 Satz 2 SGB V, dass der Grundsatz der Beitragssatzstabilität nicht mehr wie früher zu beachten, sondern lediglich neben den bereits oben dargestellten Faktoren des § 85 Abs. 3 Satz 1 SGB V zu berücksichtigen ist. Der Unterschied zwischen diesen beiden Begriffen liegt auf der Hand: während früher der Grundsatz der Beitragssatzstabilität auch bei vertragszahnärztlichen Leistungen als die zentrale Maxime zwingend umzusetzen war, muss es nach geltender Rechtslage lediglich als ein Faktor unter vielen auch zur Geltung kommen, eine Vorrangstellung hat der Grundsatz der Beitragssatzstabilität im Finanzierungs- und Vergütungsrecht der vertragszahnärztlichen Leistungen außerhalb zahnprothetischer Regelversorgung nicht mehr – das ist der zentrale Unterschied zum Vergütungsrecht der vertragsärztlichen Leistungen, wo dem Grundsatz der Beitragssatzstabilität immer noch die zentrale Bedeutung zukommt.